Fesseln des Schicksals (German Edition)
keinen Weg mehr zurück. Es wird Krieg geben.»
«Aber das darf nicht sein! Irgendjemand muss diesem Wahnsinn Einhalt gebieten!»
«Man kann es nicht mehr ungeschehen machen.»
Charlotte setzte sich. Sie musste nachdenken.
«Weiß Hortensia es schon?»
Brian wirkte erschöpft, als er antwortete. «Noch nicht. Ich hatte nicht den Mut, es ihr zu sagen. Deshalb bin ich hier. Ich brauche die Gewissheit, dass es Hortensia gutgeht. Es sind noch ein paar Monate, bis das Kind kommt, aber ich möchte nicht, dass sie allein ist. Auch wenn meine Eltern in der gleichen Straße wohnen, wäre ich doch beruhigter, wenn ich wüsste, dass du bei ihr bist. Ich möchte dich darum bitten, während meiner Abwesenheit in die Beacon Street zu ziehen.»
Charlotte nickte. Zwar würde sie lieber in ihrem eigenen Haus wohnen bleiben, aber sie würde ihre Schwester nicht im Stich lassen.
«Sei beruhigt, Brian. Gleich morgen komme ich zu euch.»
«Danke, Charlotte. Das beruhigt mich.»
Brian stand auf und nahm seinen Hut. Charlotte brachte ihn zur Tür.
«Wann sagst du ihr, dass du wegfährst?»
«Heute Abend», erwiderte er und drückte sich den Hut auf den Kopf.
***
Nachdem Fort Sumter gefallen war, hatte der junge Südstaatler, mit dem Noah am ersten Unterrichtstag aneinandergeraten war, die Universität verlassen und war zu seiner Familie zurückgekehrt, wie auch alle anderen Studenten aus den konföderierten Staaten. Bis Mitte Mai war es jedoch zu keinen Kampfhandlungen gekommen.
«Gentlemen», sagte Professor Watson, als er den Anatomieunterricht beendet hatte. «Sie wissen, dass die erste Phase Ihrer Ausbildung heute zu Ende geht. Nach diesen Monaten, die der Theorie gewidmet waren, werden Sie während der nächsten Jahre auf die medizinische Praxis vorbereitet. Zu diesem Zweck ist jeder von Ihnen einem renommierten Arzt zugeteilt worden, der Ihnen helfen wird, Ihre Ausbildung zu vervollständigen und praktische Erfahrungen zu sammeln. Am Schwarzen Brett finden Sie die Liste mit Ihren Namen und den Namen der Ärzte. Das wäre alles.»
Die besten Ärzte der Stadt waren auf der Liste aufgeführt. Aber als Noah seinen Namen endlich gefunden hatte, erkannte er, dass alle seine Bemühungen umsonst gewesen waren.
Professor Watson war gerade dabei, die Schrift eines Schülers zu entziffern, als es an seiner Tür klopfte. Watson schielte über seine Lesebrille hinweg.
«Ah! Sie sind es», sagte er, als er seinen Studenten höflich an der Tür warten sah. «Kommen Sie doch herein.»
Noah gehorchte. «Verzeihen Sie die Störung, Professor Watson.»
Das magere Gesicht des Professors war von einem gepflegten weißen Bart bedeckt. Obwohl er schon etwas gebückt ging, waren seine Hände doch kräftig und geschickt. Er war der beste Chirurg in der Stadt. Jetzt setzte er die Brille ab und sah Noah eindringlich an. «Ich habe mir schon gedacht, dass Sie kommen würden, ich hatte nur nicht angenommen, dass Sie eine Woche dafür brauchen.»
Noah sagte nichts. Ihm war die Entscheidung, zum Professor zu gehen, sehr schwergefallen.
«Also, Mr. Lacroix?»
Noah wusste nicht, wie er anfangen sollte. Bisher hatte er die Dinge, die ihm widerfahren waren, immer akzeptiert. Bis jetzt.
«Ich …», begann er zögerlich, «ich wollte nur fragen, ob ich meine praktische Ausbildung auch woanders machen kann.»
Im Unterschied zu seinen Kommilitonen war Noah keinem Arzt zugeteilt worden, sondern nur einer Abteilung des Krankenhauses auf der anderen Seite der Straße.
Das General Hospital war eine Wohlfahrtseinrichtung, in der mittellose Menschen behandelt wurden. Die Ärzte mit Prestige praktizierten in Privatpraxen. Dort behandelten sie die reichen Männer, die das Krankenhaus zwar finanziell unterstützten, jedoch im Krankheitsfall nie einen Schritt über seine Schwelle setzen würden.
«Ich verstehe», nickte Watson. «Sie denken, Sie haben etwas Besseres verdient.»
«Das wollte ich nicht damit sagen.»
«Doch, ich denke, genau das wollten Sie sagen.»
Noah fühlte sich müde. Er wollte nicht in dieses Kakerlakennest, wo die Ärzte bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wieder kündigten und wo ständig Patienten an Infektionen starben, weil die Hygiene vollkommen unzureichend war. Kein Student, der versuchte, ein guter Arzt zu werden, wollte an einem solchen Ort landen.
«Gut. Sie haben recht, Sir», gab er jetzt zu. «Wenn ich eine andere Hautfarbe hätte, wäre ich bestimmt nicht dem Krankenhaus zugeteilt worden, sondern einem der
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