Fesseln des Schicksals (German Edition)
Osborn nun. «Wir sind eine Nation und müssen einander unterstützen. Für die Größe eines Landes muss man Opfer bringen. Es handelt sich um eine Strategie, die auf lange Sicht angelegt ist, auch wenn die Erhebung von Zöllen auf einige Produkte im ersten Moment keine direkten Vorteile für den Süden mit sich zu bringen scheint. Über kurz oder lang wird dieses Gesetz dem Wohle aller dienen, denn sobald die Industrie des Nordens leistungsfähiger geworden ist, wird es auch dem Süden besser gehen.»
Es war nicht das erste Mal, dass David mit einem dieser Mr. Osborns sprach. Wenn man ihnen zuhörte, bekam man den Eindruck, als wohnten im Süden nur launische Kinder, die die eiserne Kontrolle der nördlichen Nachbarn brauchten, um das Richtige zu tun.
«Verstehen Sie jetzt?»
Fast hätte David diesem Kerl ins Gesicht gelacht. Für wen hielt er sich eigentlich. Er war schließlich David Parrish. Seine Familie hatte geholfen, dieses Land zu gründen. Niemals würde er sich von einem Emporkömmling vorschreiben lassen, was richtig oder falsch war. Natürlich durfte er nicht vergessen, dass sein Gastgeber dieses Dinner aus irgendeinem Grund zu Ehren dieses Idioten gegeben hatte.
«So leid es mir tut, aber ich kann Ihre Meinung nicht teilen. Ich glaube, dass sich der Norden an uns und den Zöllen immer mehr bereichert. Und wenn er dann reich genug ist, wird uns nichts anderes übrig bleiben, als allen seinen Launen nachzugeben. Aber ich denke, wir sollten dieses Gespräch besser ein andermal fortsetzen», sagte David abschließend. Er wollte nicht zu weit gehen.
Wäre Osborn klug gewesen, hätte er Davids Friedensangebot akzeptiert und geschwiegen. Aber anscheinend fühlte er sich den anderen Gästen moralisch und intellektuell überlegen und wollte ihnen zeigen, wo ihr Platz war.
«Dieses großartige Land», antwortete er und hob die Stimme, damit ihn auch alle hören konnten, «hat die Freiheit von den Briten zu einem hohen Preis gekauft. Wir können nicht zulassen, dass England, das uns so lange unterdrückt hat, uns mit seiner Industrie aufs Neue zerschlägt, nur weil ein paar Landbesitzer, die von der Ausbeutung anderer Menschen leben, nicht zugunsten des Gemeinwohls auf überflüssigen Luxus verzichten können.»
Das war eine Beleidigung. Möglicherweise fühlten die meisten der Anwesenden anders. Als der Krieg um die Unabhängigkeit ausbrach, hatten ihre Familien zu Frankreich gehört, und selbst heute, nachdem sie vor über dreißig Jahren die Souveränität der Vereinigten Staaten akzeptieren mussten, sahen sie keine Notwendigkeit darin, einem diffusen Gemeinwohl zuliebe ihren Lebensstil zu opfern. Aber für David war es etwas anderes. Wie schon sein Vater und sein Großvater war er in den Vereinigten Staaten geboren. Dieser Hochmut und der Mangel an Respekt, mit dem Osborn wagte, über seinen Lebensstil zu urteilen, brachte ihn dazu, die elementarsten Regeln seiner guten Erziehung zu vergessen. Außerdem hatte die Gleichgültigkeit, mit der Katherine ihn behandelt hatte, ihn aufgewühlt.
«Von Freiheit und Opfern sprechen Sie? Als Ihr Großvater noch irischen Boden pflügte, hat meiner auf seinen Adelstitel verzichtet, um für die Unabhängigkeit dieses Landes zu kämpfen. Nur zu Ihrer Kenntnis, dieser Kampf begann mit Protesten gegen die überhöhten Zölle, mit denen die Engländer die Produkte aus dem Mutterland belegten. Mein Großvater war dabei, als die Unabhängigkeitserklärung entworfen wurde. Er hat für die Freiheit gekämpft, die Freiheit und Unabhängigkeit eines jeden Staates. Dafür, dass jeder Staat selbst über seine Zukunft bestimmen kann», sagte er aufgebracht. «Ich selbst habe Narben, die mich für den Rest meines Lebens zeichnen werden und die ich im Kampf für die Würde dieses Landes und für die Freiheit davongetragen habe. Ihre hingegen kann ich nicht sehen, Mr. Osborn. Wo sind Ihre Narben?»
Osborns Gesicht war rot angelaufen. Um die Männer herum herrschte zähes Schweigen. Die Luft war so dick, dass man sie mit einem der vielen geschmuggelten Messer, die auf dem Tisch glänzten, hätte schneiden können.
«Gentlemen», sagte Gaston Lacroix beschwichtigend. «Ich darf Sie daran erinnern, dass Damen zugegen sind! Wir sollten diese Diskussion doch lieber auf einen passenderen Moment verschieben.» Lächelnd stand er auf. «Was halten Sie davon, wenn wir jetzt den Tanz eröffnen?»
Die Gäste erhoben sich erleichtert.
Gaston Lacroix wollte um jeden Preis verhindern, dass
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