Fesseln des Schicksals (German Edition)
Kind nicht lieben würde», sagte Hortensia schnell und blickte verlegen zu Boden. «Mit ganzer Seele werde ich es lieben. Aber ich möchte nicht, dass es leiden muss.»
«Das weiß ich doch», beruhigte Charlotte sie.
«Du musst mich für ein Monster halten.»
Hortensia fürchtete, dass ihr Kind keine weiße Haut haben könnte, gleichzeitig litt sie deswegen aber unter schrecklichen Gewissensbissen. Der Zwiespalt quälte sie so sehr, dass sogar ihre Gesundheit darunter litt.
«Sag so etwas nicht, Hortensia. Mach dir nicht so viele Gedanken», tröstete sie ihre Schwester und wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht. «Es wird ein wunderschönes Baby, egal welche Hautfarbe es hat. Alle werden es lieben, und ich werde die stolzeste Tante der Welt sein.»
In der gleichen Nacht noch wachte Hortensia um drei Uhr früh auf. Das Kind kam so schnell, dass keine Zeit war, den Arzt zu rufen, und Noah seine Nichte selbst auf die Welt holte. Er nahm sie auf den Arm, küsste sie zärtlich und übergab sie Charlotte.
Die betrachtete den Körper des Neugeborenen. Lächelnd streichelte sie die winzigen Händchen und dankte Gott, dass Mutter und Tochter wohlauf waren. Dann wusch sie das Kind, wickelte es in eine Decke und brachte es Hortensia, die gerührt in Tränen ausbrach.
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Drei Jahre später
November 1864
· 36 ·
D ie kleine Molly sah ihrer Mutter jeden Tag ähnlicher. Ihre Augen waren dunkel wie die ihres Vaters, ihre blonden Haare hatte sie von beiden Elternteilen geerbt. Sie war ein aufgewecktes und fröhliches Kind und wuchs glücklich auf. Ihre Familie liebte sie, und ihr Bruder Peter wurde seines neuen Spielzeugs nicht müde.
In dieser friedlichen Welt schien der Krieg nur ein Trugbild zu sein. Aber leider war er eine Realität. Der absurde Kampf, der tausende Menschen das Leben gekostet und Hass in den Herzen gesät hatte, dauerte nun schon über drei Jahre.
Charlotte musste an Frank denken, ihren Kollegen aus der Redaktion, der schon wenige Monate nach Beginn des Krieges gefallen war. Manchmal fürchtete sie, dieser Albtraum würde nie aufhören.
Nachdenklich saß Charlotte am kleinen Teich im Garten und sah ihrer Nichte dabei zu, wie sie einem kleinen Vogel hinterherlief. Obwohl sie schon drei Jahre alt war, hatte ihr Vater sie nur ein einziges Mal sehen können. Hoffentlich war dieser verfluchte Krieg bald vorüber.
Im Stillen betete sie für Brian, der irgendwo in North Carolina stationiert war. Und auch für Noah, der sich, nachdem er sein Studium im Sommer beendet hatte, dem Ärztekorps angeschlossen hatte. Man hatte ihn in ein Militärkrankenhaus in Maryland geschickt, nur wenige Meilen von der Grenze zu Virginia entfernt. Zum Glück musste sie sich wenigstens um Scott keine Sorgen machen. Denn obwohl niemand je von ihm sprach und sie auch nie fragte, wohin er verschwunden war, wusste Charlotte mit Gewissheit, dass er sich nicht zum Kampf gemeldet hatte.
Sie betete auch für ihre Familie und für Freunde in Virginia. Und für Richard, den Mann, den sie geliebt hatte und von dem sie seit Jahren nichts mehr gehört hatte.
Charlotte wickelte sich fester in ihren Schal. Plötzlich war es kühl geworden.
Als sie zusammen mit Molly wieder ins Haus kam, saß Hortensia im Salon bei einer Stickarbeit.
«Es wird bald schneien», sagte Charlotte und schloss die Tür.
Molly lief zu ihrer Mutter, die ihr einen Kuss auf das kalte Gesicht gab. Hortensia knöpfte ihrer Tochter den Mantel auf und nahm ihr die Mütze ab.
«Mami, für dich!»
Hortensia nahm die Kieselsteine aus der Hand ihrer Tochter und bewunderte sie, als wären es wertvolle Edelsteine.
«Wie schön», sagte sie und gab Molly noch einen Kuss. «Hast du sie schon Tante Charlotte gezeigt?»
Das kleine Mädchen riss die Augen auf. «Nein!»
«Und worauf wartest du dann?»
Als Molly an Charlottes Rock zog, war ihre Tante tief in der Betrachtung des dunklen Flusses versunken. «Sie sind sehr hübsch. Du musst sie Peter zeigen, wenn er aus der Schule kommt.»
Das Mädchen legte ihren Schatz in ein Glasgefäß, holte dann ihre Lumpenpuppe, die auf einem Sessel gelegen hatte, und spielte mit ihr in einer Ecke des Zimmers.
In diesem Moment wurde an die Tür geklopft, und der Butler erschien kurz darauf im Salon.
«Miss Charlotte», entschuldigte er sich und hielt ihr ein Silbertablett mit einem Umschlag entgegen. «Das ist gerade für Sie abgegeben worden.»
«Danke, Victor.»
Sie nahm den Umschlag und riss ihn
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