Fesseln des Schicksals (German Edition)
mächtigen Herrn im Kopf zu behalten, aber im Unterschied zu seinen Schwestern, die ihn zu kennen und zu fürchten schienen, hatte Noah noch nie von ihm gehört.
Die drei Schüler wagten nicht einmal zu blinzeln.
«Zu Anbeginn der Zeit, als sich der Herr der Finsternis gegen unseren Gott auflehnte, schlossen sich ein paar missgünstige Wesen den Horden des Bösen an. Trotzdem triumphierte das Gute. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, und der bösartige und gehässige Satan, der sich gegen den eigenen Vater aufgelehnt hatte, wurde in die Hölle verbannt. Nach dieser Niederlage wurden alle verflucht, die sich vom Allmächtigen abgewandt hatten und dem Verräter folgten.»
Hier machte Mademoiselle Gassaud eine wirkungsvolle Pause. Noah schluckte, und Hortensia und Charlotte fassten sich an den Händen.
«Ihrer Seelen beraubt, wurden sie und ihre Nachkommen dazu verdammt, wie Wilde über die Erde zu wandeln. Damals ist ihre Haut dunkel gefärbt worden, damit sie ihren Verrat nicht verbergen konnten. Der Herr hat das zu unserem Schutz getan. So können sie uns nicht mit ihren hinterlistigen Worten über ihre gehässige Natur hinwegtäuschen. Seither müssen sie den weißen Männern und Frauen dienen, die unserem Gottvater treu geblieben sind. Das ist ihre Strafe, und die Farbe ihrer Haut ist ihre Schmach.»
Sosehr er sich auch anstrengte, Noah konnte sich nicht erinnern, jemals diesem schrecklichen Herrn Satan gedient zu haben, und er glaubte auch nicht, dass seine Mutter es getan hatte. Er hatte immer geglaubt, dass sie auf einer Plantage in der Nähe geboren war und an Master Parrish verkauft wurde, als sie noch ein Kind war. Vielleicht waren die Vorfahren schuld, von denen Mademoiselle Gassaud gesprochen hatte. Als er seine dunkle Haut betrachtete, verstand Noah zum ersten Mal den Grund für die Verachtung im Blick seines Vaters. Im Unterschied zu seinen Schwestern war er mit dem Zeichen für Satans Verrat geboren worden. Master David musste also denken, dass er ihn eines Tages verraten würde. Aber das stimmte nicht. Als sie ihn einfärbten, hatten sie sich geirrt. Er war nicht böse, und selbst wenn er dieses Ding namens Seele nicht hatte, war er auch kein Wilder. Und das würde er beweisen. Als Mademoiselle Gassaud ihm in die Augen gesehen hatte, hatte sie gesagt, dass seine dunkle Haut nur gefärbt war. Und Farbe ging ab, auch wenn sie in einer dünnen Schicht an seinem Körper haftete. Er hatte das bei Hunderten von Möbeln auf der Plantage gesehen. Und er konnte das auch, er konnte diese dunkle Schicht, die ihn in den Augen seines Vaters böse und gehässig machte, abreißen und sich in ein weißes Kind verwandeln, das man bedenkenlos lieben konnte.
***
Am nächsten Tag stand Noah im Morgengrauen auf. Es war Sonntag, und er musste nicht in die Schule. Er nahm einen rauen Schwamm aus Espartogras, den er aus dem Lager mitgenommen und unter dem Kissen versteckt hatte, und stahl sich lautlos aus der Hütte, damit seine Mutter nicht aufwachte.
Ohne dass ihn jemand bemerkte, lief er zwischen den Hütten hindurch und rannte dann flussaufwärts bis zu der Biegung, wo sich das Wasser in einem kleinen Bassin staute. Sie war von Bäumen umgeben, und am Ufer stand ein einfacher Grabstein mit frischen Blumen, wo der Leichnam einer freigelassenen Sklavin ruhte.
Nervös blickte Noah nach links und rechts. Er war ungeduldig, wollte aber nicht, dass ihn jemand entdeckte. Als er sicher war, dass ihn nicht einmal die Vögel beobachteten, zog er sich aus, nahm den Espartoschwamm aus der Hosentasche und tauchte ins eisige Wasser ein. Für einen Moment hörte das Blut auf, in seinen Adern zu zirkulieren, und seine Lippen wurden blau. Seine Zähne klapperten laut, aber er konnte nicht mehr zurück. Jetzt fing er an, sich mit dem harten Espartoschwamm abzuschrubben. Er rieb so kräftig, dass seine Haut rot wurde.
Vor Kälte ganz starr, schrubbte er immer weiter, ohne den Mut aufzubringen, sich anzusehen. Erst als er keine Kraft mehr hatte, betrachtete er hoffnungsvoll seinen Körper. Voller Schrecken entdeckte er, dass seine Haut zwischen all den Kratzern und dem Blut, das Tropfen auf den Wunden bildete, genauso schwarz war wie vorher, und er begriff, dass kein Schwamm der Welt das ändern könnte. Mutlos ließ er den Schwamm los und schleppte sich aus dem Wasser. Als er sich am Ufer zu Boden fallen ließ, fing er untröstlich zu weinen an.
***
In jener Nacht hatte Katherine wie so oft nicht einschlafen können. Es war noch
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