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Fesseln des Schicksals (German Edition)

Fesseln des Schicksals (German Edition)

Titel: Fesseln des Schicksals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Gallaga
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Scott meinte, in einer Schlacht gefallen. Aber dafür konnte man die Marine doch nicht verantwortlich machen. Jeder Soldat wusste schließlich, dass der Tod Teil des Berufsrisikos war.
    «Ich muss den Abschluss machen», gestand Richard. «Das schulde ich meiner Familie. Sie erwarten, dass ich zu den Besten gehöre, und deshalb muss ich Parlains Prüfung mit einer guten Note bestehen. Ich darf sie nicht enttäuschen.»
    Die Last, die auf Richards Schultern lag, war Scott schmerzlich bekannt. Die Last, perfekt sein zu müssen. Scott hatte sie nie akzeptiert. Denn genau dieser Druck hatte seinem geliebten Onkel Lead den Tod gebracht. Scott legte das Kerngehäuse des Apfels auf das Tischchen neben seinem Bett.
    «Ich kann dir helfen.»
    «Du?»
    «Ja, ich», bestätigte Scott mit Überzeugung. «Außerdem habe ich heute nichts Besseres vor.»
    «Aber du schaffst es ja gerade mal eben so zu bestehen!»
    «Nun, so sieht es aus», sagte Scott, sprang auf und näherte sich seinem Zimmergenossen mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen. «Aber ich helfe dir nur unter einer Bedingung.»
    «Was immer du willst.»
    «Du musst mir dein Wort geben, dass es unter uns bleibt. Ich möchte nicht, dass du meinem Ruf schadest.»
    «Das wird garantiert kein Problem sein.»
    Bevor Richard noch etwas sagen konnte, hatte Scott sich schon neben ihn gesetzt und ihm das Buch mit der Aufgabe entrissen.
    «Ich sehe, Parlain hat es uns ziemlich schwierig gemacht, in den Hafen zu gelangen. Nicht wahr?»
    «Es genügt, Scott. Ich glaube, du solltest mir jetzt das Buch zurückgeben und mich lernen lassen.»
    «Wie du willst», gehorchte er, ließ das Buch los und schnappte sich den Apfelrest, von dem er ein letztes Stück saftiges Fruchtfleisch abbiss.
    «Ich würde es durch die Meerenge versuchen.»
    «Bist du verrückt? Du vergisst, dass das Boot keine Ladung mit sich führt. Bei der starken Strömung und dem Wellengang würden wir in eine gefährliche Schräglage geraten, und dann wäre es unmöglich, das Schiff zu kontrollieren. Wir würden an den Felsen zerschellen.»
    «Nicht, wenn du den Schwerpunkt nach unten verlagerst.»
    Auf diese Möglichkeit war Richard noch nicht gekommen.
    «Na gut, aber woher soll ich mitten auf dem Ozean zwei Tonnen Ballast herbekommen?»
    «Eigentlich braucht man nur etwa tausendfünfhundert Kilo. An den Stränden dieser Gegend liegt tonnenweise Sand. Du müsstest nur die Back- und Steuerbordfrachträume füllen, um das Schiff zu stabilisieren.»
    Zunächst wollte Richard den Vorschlag seines Mitstudenten geradewegs ablehnen, begann dann aber doch, neue Zahlen zu notieren. Als er nach einer langen Weile das Ergebnis sah, das er errechnet hatte, konnte er es kaum glauben.
    «Wie bist du darauf gekommen?»
    «Zufall, nehme ich an.» Scott grinste und zog vergnügt die Augenbrauen hoch. «Und? Willst du jetzt ein bisschen Platz für mich machen?»
    Schon hatte Scott sich auf Arnolds Stuhl gesetzt und rückte etwas näher an Richard heran. Er griff nach dem Rest der Aufgaben und einem Kohlestift, schnappte sich Zirkel und Lineal und fing an, mit großer Sorgfalt ein paar Linien zu zeichnen. Er errechnete mit zwei Peilungen seine exakte Position, und nachdem er die Stärke der Strömung und die Abdrift bestimmt hatte, der das Schiff ausgesetzt war, zeichnete er einen neuen Kurs in die Karte ein, so schnell, dass Richard ihm nur schwer folgen konnte. Eine Stunde später war Scotts Gesicht mit Kohle verschmiert, und die rebellische Haarsträhne hing ihm über das linke Auge. Scott hatte nicht nur alle Aufgaben gelöst, die Richard nicht hatte bewältigen können, sondern hatte es sich sogar manchmal erlaubt, verschiedene Lösungswege auszuprobieren. Seine Beweisführung war genauso unglaublich wie seine Schnelligkeit beim Rechnen. Richard kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Er hatte nie gesehen, dass Scott sich in einer der Unterrichtsstunden des Kapitäns auch nur die geringste Notiz gemacht hätte. Er schien ja nicht einmal zuzuhören. Aber offensichtlich hatte er sich sämtliche Erklärungen des Lehrers gemerkt, während er selbst stundenlang auf einem Stück Papier herumgekritzelt hatte. Warum bemühte sich ein so intelligenter Mensch darum, mittelmäßig zu erscheinen? Zum ersten Mal seit Scott in sein Leben getreten war, empfand Richard so etwas wie Sympathie für seinen Zimmergenossen.
    Ein paar Tage später gab der Kapitän die korrigierten Klausuren zurück. Die Studenten im Klassenzimmer waren einem

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