Fesselnde Entscheidung (German Edition)
begegnet, sie hätte es ihm nie zugetraut.
»Was?«
»Na, das alles. … Die Erpressung.«
Er antwortete nicht sofort, schien nach Worten zu suchen, nahm große Schlucke aus der Wodkaflasche und stellte sie dann auf den Boden.
*
»Das war eine bescheuerte Schnapsidee. Ich wollte schnell und einfach an das große Geld.«
Er sah ihr ihre Enttäuschung an. Zu gern hätte er ihr etwas anderes erzählt. Etwas, das es ihr leichter gemacht hätte, ihn zu verstehen.
»Leider kann ich dir keine tugendhafte Erklärung dafür liefern. Es gibt keine kleine Schwester für die ich eine lebensrettende, unwahrscheinlich teure Operation irgendwo im Ausland bezahlen wollte. Ich habe noch nicht einmal eine Schwester.«
Elisa nahm die Wodkaflasche, trank ebenfalls ein paar Schlucke und hörte ihm schweigend zu.
Er erzählte ihr von seinen zwei älteren Brüdern. Der eine Mediziner, der andere Steuerberater. Nur er hatte es zu nichts gebracht, war der selbsternannte Nichtsnutz der Familie. Hatte sein BWL-Studium abgebrochen und wartete stattdessen seit Jahren auf den großen Durchbruch als Musiker.
»Du kannst singen?«, unterbrach sie ihn. »Sing mal!«, versuchte sie ihn zu motivieren.
»Nein, Elisa, ich werde hier jetzt bestimmt nicht singen. Da ist mir wirklich nicht nach«, sagte er und tat ihr nicht den Gefallen.
Mit dem Geld wollte er seine Musik selbst produzieren, sich ein schönes, sorgenfreies Leben machen und es schließlich allen zeigen. Mit seinem Nebenjob als Kurierfahrer wäre das nie etwas geworden. Seine Eltern hatten ihm den Geldhahn zugedreht, als er das Studium abgebrochen hatte. Sie waren nicht bereit, sein Faible für die Musik zu unterstützen.
»Da habe ich vor ein paar Wochen, in nicht ganz nüchternem Zustand, den Artikel über deinen Vater und Eure Firma gelesen und gedacht ´wer viel hat, kann auch ein bisschen abgeben`. Du warst mit ihm abgebildet und dann habe ich ein bisschen im Internet recherchiert und …«, er brach ab.
»… hast alles geplant, mich beobachtet und verfolgt«, beendete sie seinen Satz.
Er nickte langsam. »Ja, so ungefähr war es … eine bescheuerte Idee. Ich hatte mir alles so verdammt einfach vorgestellt.«
Sie schwiegen und tranken – abwechselnd Wodka und Wasser. Sie mehr Wasser, er mehr Wodka.
Nachdem er auf Toilette war, nahm er neben ihr auf dem Boden Platz und erzählte unaufgefordert weiter aus seinem Leben. Elisa hörte ihm aufmerksam zu.
Das Bauernhaus, in dem sie sich befanden, hatte mal seinen Urgroßeltern gehört. Früher hatte er hier immer seine Ferien verbracht. Er schwärmte regelrecht von der schönen alten Zeit. Doch die war lange her. Vor vielen Jahren waren seine Urgroßeltern gestorben und das Haus, weit abseits der Zivilisation, war vollkommen verwaist. Ab und zu war er immer noch hierher gekommen, um in absoluter Ruhe Lieder zu schreiben und Musik zu machen.
Als die Wodkaflasche schließlich leer war, teilten sie sich die letzte Wasserflasche.
»Wie heißt du eigentlich«, fragte sie ihn und stockte kurz, »oder wie soll ich dich nennen?«
»Tim«, antwortete er kurz.
Sie vergewisserte sich nicht, ob das sein richtiger Name war oder nicht. Es schien ihr egal zu sein. Sie stand auf und ging schwankend auf die Toilette. Anschließend setzte sie sich – mit dem Rücken an den Bettrand gelehnt – ihm gegenüber.
»Und du?«
»Was ich? Ich heiße Elisa, das weißt du doch.«
»Nein, das meinte ich nicht«, er schüttelte mit dem Kopf, »was ich eigentlich fragen wollte … ich verstehe einfach nicht, wieso dein Vater …«
Er sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten und beendete seine Frage nicht.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie nach einer kurzen Pause. »Ich hätte es auch nicht für möglich gehalten, dass ich ihm so wenig – beziehungsweise gar nichts – bedeute.«
Plötzlich ließ sie ihren Tränen freien Lauf und weinte ungehemmt. Als sie ihn kurz anblickte, musste sie unwillkürlich lächeln, obwohl ihr gar nicht zum Lachen zumute war. Seine Überforderung stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.
Gern hätte er sie ihn in den Arm genommen, um sie zu trösten. Aber er war sich nicht sicher, ob sie es zulassen, seinen Körperkontakt überhaupt ertragen würde. Stattdessen stand er auf, merkte den Alkohol in den Beinen und suchte wie selbstverständlich in ihrer Handtasche, die links neben dem Bett am Fußende stand, nach Taschentüchern. Schließlich fand er welche und reichte sie ihr. Er fand, dass sie seine Hand
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