Fesselndes Geheimnis
Aufzug. Während der Fahrt nach unten berührte sie mich leicht an der Schulter, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und sagte freundlich: »Mein Name ist Claire Dumont.«
»Ah«, machte ich, »Sagen Sie, wie lange wird es etwa dauern, was meinen Sie?«
Ich fand es nett, dass sie sich vorstellte; meine Handflächen aber schwitzten. Ich war nervös.
Claire Dumont schaute mir forschend ins Gesicht, begriff offenbar, wie ich mich fühlte, denn sie meinte: »Oh, bestimmt nicht lange. Machen Sie sich keine Sorgen oder übermäßige Gedanken, Mademoiselle Danzer. Es ist reine Formsache.«
Ihre Stimme klang warm, und ich fing fast an sie zu mögen. Dass sie heute ihr schönes Haar offen trug, was ihr sehr gut stand, ließ sie weniger förmlich wirken.
Kurz darauf saß ich in einem dunkelblauen Renault Twingo neben ihr. Sie lenkte den Wagen Richtung Ostende, die Küstenstraße entlang, wo sich in der Mitte die Trambahnschienen befanden. Links und rechts davon führten Schnellstraßen.
Inzwischen war bereits Abend. Das schreckliche Ereignis in den Dünen war bereits eine Weile her … ich verdrängte es wieder gerade jetzt konnte ich die Erinnerung daran gar nicht gebrauchen … schweigend blickte ich aus dem Fenster, sah einen leicht bizarren Wasserturm, schön restauriert, der sich schlank und groß Richtung Strand erhob. Wir näherten uns dem Ostender Hafengebiet.
Auf einmal bog Claire Dumont scharf nach rechts ab, vorbei an Autohäusern und KFZ-Werkstätten, mitten ins Hafengelände hinein.
Ich wurde stutzig. Sollte sich hier etwa ein Polizeirevier befinden? Nun, ganz auszuschließen war das nicht, aber …
Ich runzelte verwirrt die Stirn, als ich bemerkte, wie viele der Häuser und Hallen hier ganz offensichtlich verlassen waren. Wilde gelbe Blumen wucherten fröhlich vor Türen, von dessen Rahmen die letzten Farbreste abblätterten, Eisentore, braun vor Rost; zugemauerte oder mit Spanplatten vernagelte Fensterlöcher starrten mir blind entgegen.
In diesem Moment stoppte Claire Dumont den Wagen abrupt und kommandierte, mich kühl anblickend: »Aussteigen!« In ihren eisgrünen Augen glitzerte es.
Unsicher gehorchte ich. Es war kein Mensch in Sichtweite. Wir waren allein. Ein Klirren schreckte mich aus dem dumpfen Gefühleiner unbestimmten Bedrohung. Ich sah zu Claire. Sie hielt mit einem maliziösen Lächeln ein Paar Handschellen hoch.
»Hände auf den Rücken!«
Noch mehr verunsichert versuchte ich zu lachen, doch es blieb bei dem Versuch. Im nächsten Moment spürte ich, wie mir die Arme grob nach hinten gerissen und die Handgelenke mit dem kalten Metall gefesselt wurden. Seit den Tagen mit Felix, als Bondage ein erotisches Spiel gewesen war, fiel es mir noch immer schwer, Fesseln zu akzeptieren. Umso mehr, da es jetzt Ernst war … Unwillkürlich leistete ich Widerstand, was Claire gefiel. Sie lachte gurrend. Ein verwirrender Laut, der sich einen Weg durch meine Panik bahnte. Moment mal, irgendetwas stimmte hier nicht!
»Mmhm … ich mag es, wenn ihr euch ein bisschen wehrt«, lachte sie. »Sonst wäre es langweilig!« Sie strich mir mit der Hand über den Rücken. »Und du hast Feuer, Christine! Ja, kämpf nur gegen deine Ketten … Es ist natürlich vergeblich, aber das weißt du ja.«
Sie packte mich mit einer Hand am Arm, mit der anderen im Nacken und drückte mich ein paar Schritte weit, über mit Unkraut zugewachsene und halb in Sand und Staub verschwundene Schienen, bis hin zu einem total verrosteten Tor. Mit erstaunlicher Kraft zog sie es auf. Trotz des erbärmlichen Quietschens, das mir dabei in den Ohren gellte, kam mir auch wieder in den Sinn, wie muskulös Claire war. Eine Polizistin, stark, kühn, souverän … Hinter dem Tor erstreckte sich eine düstere Halle, gähnend leer.
»Entspann dich, Christine. Du wirst deine Energie gleich noch brauchen …« Jetzt klang die Stimme der attraktiven Rothaarigen wieder freundlich.
Sie, eine Polizistin, ist eine von IHNEN, und das hier ist die Probe!
Blitzartig fiel diese Erkenntnis über mich her. Mann, oh Mann, das war verdammt – genial! Mein Herz hämmerte immer noch wegen des Überraschungseffektes. Ich war völlig überrumpelt worden! Etwas, wodurch das Ganze eine Tiefe erhielt, eine zwingende Ernsthaftigkeit, der ich mich nicht entziehen konnte und die mich antörnte.
Trotzdem ließ eine leise Furcht meinen Mund trocken werden und brachte mich zum Zittern. Wieder riss ich an den Handschellen, die in meine Haut schnitten. Ob es mir
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