Fest der Fliegen
beleuchteten Auslagen, Holzkästen von Derwent mit neunzig Pastellstiften in drei Etagen oder die Cumberland-Edition , der Riese unter den Gouache-Kästen. Martina lehnte sich vor dem Schaufenster an ihn. Sie nahm sich vor, morgen ohne ihn im Laden zu fragen, ob man Einkäufe eventuell auch auf den Kontinent verschickte. Auf der Northbridge war kein Verkehr mehr. Zeit, nach Hause zu schlendern, wenn man das Royal Princess so bezeichnen wollte. Neben der überdachten Bushaltestelle in der Brückenmitte warteten drei Frauen. Sie trugen Kopftücher. Plötzlich beschleunigte Swoboda seinen Schritt, als er hinter den Frauen die Schatten sah, weit ausholende Arme mit Knüppeln, typische Schlägerschwünge, lange Keulen. Keine Schreie, nur ein lautes, erbarmungswürdiges Wimmern. Die Kopftuchfrauen rückten enger zusammen. Swoboda sah, während er schon lief, wie sie die Köpfe einzogen. Martina rief seinen Namen hinter ihm her. Als er bei den Niedergeschlagenen war, waren die Schläger schon auf und davon, er hatte noch ihre bleichen Glatzen gesehen, kein Gesicht, und ihre massigen Körper, vier waren es, er war sicher, dass sie Stiefel und lange Mäntel getragen hatten. Eine blutverschmierte Gymnastikkeule lag auf dem Bürgersteig. Swoboda keuchte. Die beiden Opfer hockten zusammengekauert auf der Wartebank. Der eine junge Mann stumm mit blutendem Gesicht im Schoß des anderen, der zitternd die Hände vom Kopf nahm und aufsah. Sie waren still. Swoboda erkannte die beiden jungen Männer, die sich am unteren Ende der Northbridge umarmt hatten, als er mit Martina vor einer guten Stunde zur Royal Mile hinaufgegangen war. Dann hörte er die Sirene und sah die Reflexe des Blaulichts, die sich vom Waterloo Place näherten. Martina nahm ihn am Arm und zog ihn energisch mit sich fort. Ein kleines Schild am Hoteleingang wies das Royal Princess als »gay friendly« aus. Sie tranken einen halben Liter Whisky in dieser Nacht und liebten sich. Als sie aufstanden, war die Frühstückszeit vorüber. Sie fanden einen Costa-Shop an der Princess Street, wo es guten Cappuccino und scheußliche Muffins gab. Das Sonnenlicht war noch greller als tags zuvor und Swoboda verschwieg, dass er Kopfschmerzen hatte.
Auf dem Steinstrand von Fécamp ließ er diese Teile seiner Erinnerung unerwähnt. Er genoss die Geschwindigkeit, mit der die Bilder seinen Kopf durchliefen, als besuchte er ein Museum innerhalb seiner Augen und in seinen Ohren und sogar unter seiner Haut, in dem Teile seiner Lebensgeschichte im Zeitraffer vorgeführt wurden. Georges Lecouteux in dieses Museum einzuladen, war sinnlos. Er würde damit nichts anfangen können, der Commissaire wollte ausschließlich wissen, wie der Mord auf der Esplanade vor dem Edinburgh Castle geschehen war. Und was dann folgte. Sein deutscher Kollege, der erleichtert die Bildergalerie seiner Tage mit Martina in sich wiederfand – wie von ihm selbst gemalt, doch in einer Anordnung gehängt, die willkürlich zu sein schien –, wollte sich an die ganze Geschichte erinnern, bevor sie sich aufzulösen begann. Dazu gehörten seine Gefühle, sie waren vielleicht sogar Anker, mit denen er die Bilder daran hindern konnte, wieder zu verschwimmen. Doch hier, mit Blick auf das Meer, das unter dem sanft und gelblich werdenden Nachmittagslicht sein Grün entdeckte und es mit sinkender Sonne zu vertiefen schien: Sollte er dem Kollegen der übergeordneten Behörde aus Paris erzählen, was er seinerzeit in Edinburgh empfunden hatte? Hier zählten Fakten. Nichts sonst. »Also gut«, sagte Lecouteux. »Ihre Frau Martina hat –« »Wir sind nicht verheiratet.« »Aber Martina heißt sie, das stimmt doch, Martina Matt?« »Ja«. »Und sie hat diese Reise nach Edinburgh gebucht, einfach nur so, ich habe Sie doch richtig verstanden, das war wieder bloß ein Zufall?« Er klaubte einen Stein zwischen seinen ausgestreckten Beinen auf und warf ihn nach vorn auf den Sand, der mit der Ebbe sichtbar geworden war. »Zufall, ganz richtig, Martina macht viel einfach nur so, aus Eingebung oder aus dem Augenblick.« »Wie meine«, sagte Georges Lecouteux. Swoboda nahm einen Stein auf und warf ihn dem Stein des Kollegen hinterher. »Ich bin dem Mörder einen Tag vorher begegnet. Zwei Mal. In der Princess Street, Martina wollte Schuhe kaufen, es war so gegen elf und ich stand draußen vor dem Laden. Ein junger Mönch in Kutte, ich weiß nicht, welcher Orden, grau mit schwarzem Strick, kommt auf mich zu, spricht mich an, ob ich eine Spende
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