Fetjaine, Jean-Louis - Die Elfen 02
hinausstürzte, um stundenlang kreuz und quer völlig ziellos durch den Wald zu laufen, bis zur Erschöpfung. Doch nicht bis zum Vergessen.
Auch wenn seine Wut und das Gefühl der Schmach momentan verflogen waren, blieb diese Distanz zwischen ihnen bestehen, kaum einige Ellen trennten sie, doch es war trotzdem eine unüberwindbare Distanz. Es sei denn, Lliane käme auf ihn zu. Aber sie befand sich im anderen Lager, dem ihrer Tochter, und machte die umgekehrte Entwicklung durch, in ihr wich der Kummer dem Groll. Der Pflege durch Blodeuwez wie auch der Segnungen des großen Druiden Gwydion beraubt, hatte sie aus sich selbst heraus die Kräfte schöpfen müssen, um wieder zu sich zu kommen und in ihrem ermatteten Leib das Feuer der alten Runen anzufachen, indem sie wieder und wieder die Fehu, die erste Rune, sang.
Byth frofurfira gehwylcum
Sceal theah manna gehurylc miclun hyt daelan
Gif he wilefor drihtne domes hleotan.
Das kleine Mädchen begann, sich auf seinem Bettchen aus Moos und Blättern zu rühren; noch schlief sie, doch zuweilen strampelte sie ganz plötzlich heftig mit Armen und Beinen. Lliane legte sich instinktiv die Hand auf den Bauch. Einige Tage zuvor, ja noch einige Stunden zuvor hatte sie diese Stöße in ihrem Inneren gespürt... Ein Seufzen, einige Speicheltropfen, und das Neugeborene schlug mit einem leicht empörten Naserümpfen die Augen auf.
»Rhiannon«, raunte ihr Lliane zärtlich ins Ohr.
»Nenn sie nicht bei diesem Namen.«
Das Lächeln der Königin erlosch. Seit Stunden hatte Llandon kein Wort gesprochen, und sein Einwurf hatte sie überrascht.
»Sie ist keine Königin«, sagte er, »und wird es auch niemals sein.«
»Sie ist meine erste Tochter«, erwiderte Lliane, bemüht, nicht die Stimme zu erheben oder ihren verschlossen dreinsehenden Mann mit Blicken herauszufordern. »Die Göttin weiß, wie sehr ich mir ein Mädchen von dir gewünscht habe, doch wir haben keines bekommen. Wir haben nicht einmal einen Sohn bekommen, Llandon ... Die Göttin hat gewollt, dass es so kommt...«
»Lass gefälligst die Götter aus dem Spiel!«, brüllte der König. »Das hat nichts mit der Göttin zu tun. Du hast mit Uther geschlafen, du hast dich ihm hingegeben wie eine ihrer Dirnen aus der Unterstadt, das ist es, was du getan hast!«
Llandon hatte so laut geschrien, dass Rhiannon aufgeschreckt war. Sie fing an zu weinen, und Lliane hob sie an ihre Brust, um sie zu stillen. Sie schloss die Augen und wartete, bis sich ihr Puls beruhigt hatte, bevor sie ihm antwortete.
»Als wir jung waren, Llandon, haben wir uns beide jedem, der mit uns schlafen wollte, hingegeben, wie du es nennst, im Gras, in den Nächten der Beltaine, obwohl wir bereits einander versprochen waren ... Was ist nur in dich gefahren? Man könnte meinen ...«
Sie hielt inne. Man könnte meinen, Uther stünde da vor mir, dachte sie.
»... Du bist eifersüchtig wie ein Mensch«, bemerkte sie obenhin. »Demnächst wirst du mir noch erklären, dass du mich liebst!«
Llandon schaute sie an, das Gesicht in einer Mischung aus Abscheu und Schrecken verzerrt.
»In diesem Punkt«, brummte er, »weißt du besser Bescheid als ich.«
Lliane erhob sich, und dabei glitt der Umhang, der sie bedeckte, zu Boden. Völlig nackt stand sie im Schein der tanzenden Flammen, Rhiannon gegen ihren Busen gepresst, und musterte Llandon kalt.
»Ich bin Lliane aus dem edlen Geschlecht von Dûn, Königin der Hohen Elfen und der Völker unter dem Wald von Eliande, auf den Willen der Göttin hin und solange ich lebe«, erklärte sie mit bebenden Lippen und Tränen in den Augen. »Du, du bist nur ... du bist nur der König.«
Llandon saß sprachlos auf seinem Platz.
»Rhiannon ist meine erste Tochter«, wiederholte sie. »Ob du das möchtest oder nicht, mit dir oder ohne dich, sie wird Königin sein.«
»Von welchem Volk?«, fragte Llandon.
Lliane gab keine Antwort. Noch ein Wort, und die Tränen würden ihr aus den Augen schießen, und um ihre Abwehr wäre es komplett geschehen. Ihre Beine wankten, der Kopf drehte sich ihr, ihr Bauch schmerzte, und sie hatte das Gefühl, jeden Moment zusammenzubrechen. Weshalb half er ihr nicht?
Llandon schüttelte den Kopf und erhob sich schwerfällig; dann ging er ohne ein Wort und ohne sich noch einmal umzusehen aus der Hütte hinaus.
Draußen hielt er einen Augenblick inne. Der Dunst legte sich langsam über Broceliande, gleich einem heimtückischen, unbarmherzigen Hauch, und der König war wie gelähmt vor
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