Fetjaine, Jean-Louis - Die Elfen 02
stattlichen Gestalt den schwachen roten Schein des Feuers verdunkelte. »Und außerdem hab ich Durst und finde hier nichts zu trinken. Draußen gibt es einen Bach, wir werden unsere Schläuche auffüllen gehen.«
Mit einem Rippenstoß schubste er Bran von seinem Schemel.
»Und du kommst mit mir mit.«
Der Zwerg tat den Mund auf, um zu protestieren, doch der finstere Blick Uthers hielt ihn davon ab.
»Da siehst du, wie man sich täuschen kann«, sagte Ulfin, als er an seinem Waffenbruder vorbeikam. »Wir haben alle geglaubt, dass du in die Königin Igraine verliebt seist, und sieh da, du hast ein Kind mit einer Elfe!«
Er ging hinaus, bevor Uther antworten konnte, und lachte in sich hinein, während er den Sternenhimmel betrachtete.
»Was ist denn so lustig?«, fragte Bran hinter ihm.
»Nichts ... Der Dunst lichtet sich.«
Der Zwergenprinz hob die Brauen und kratzte sich den Bart.
»Ich verstehe nicht, was daran so komisch ist.«
Selbst im Wald war es schwül in jener Nacht. Lliane hatte nur phasenweise geschlafen, von starkem Durst gequält, ihr Leib brannte noch, und sie spürte bisweilen die Wärme des Blutes zwischen ihren Schenkeln. Jedes Mal wenn es ihr gelang, den Schmerz zu verdrängen und die Augen zu schließen, weckten das Weinen oder das Glucksen Rhiannons sie auf. Binnen weniger als zwei Tagen war sie in einen derartigen Erschöpfungszustand geraten, dass sie gleichzeitig mit ihrer Tochter eingenickt war, während sie ihr das letzte Mal die Brust gab.
Die Stille war es, die sie weckte.
Die Stille und ein unermessliches Grauen, so als erwache sie am Grunde eines Brunnens, als sauge das schwarze und glitschige Nichts sie ein und als riefe ihr Baby sie um Hilfe, aufheulend vor Schrecken in der Dunkelheit, die es verschlang. Sie schlotterte trotz der lauen Morgenluft, und ihre erste Geste war es, sich einen Umhang überzuwerfen, noch bevor sie, verstört und mit klopfendem Herzen, aus ihrem Alptraum auftauchte.
Die Stille. Ohne jene kurzen, zögernden Atemstöße, jene kleinen, unwillkürlichen Schreie und jene plötzlichen Anwandlungen von Unruhe, durch die Rhiannon ihre Anwesenheit kundtat.
Lliane erhob sich zu schnell und taumelte. Ihre Beine vermochten sie kaum zu tragen, der Kopf drehte sich ihr, und sie musste sich abstützen, um nicht zusammenzubrechen. Aber ein schlichter Blick auf das Bettchen des Babys hatte genügt, um ihrer plötzlichen Angst einen Namen zu geben: Rhiannon war nicht mehr da.
Sie sprang aus ihrer Hütte, einen Moment geblendet von den ersten Sonnenstrahlen, und rannte geradewegs los, ohne nachzudenken, so als wüsste sie, wo sie hinliefe. Barfuß im Wald, einzig mit jenem Umhang bekleidet, der im Rhythmus ihrer schnellen Schritte um sie herumflatterte, mit wehendem Haar und die Haut von Dornen zerkratzt, war die Königin das Inbild jener verkommenen und Unheil bringenden Sukkuben, die die Mönche in ihren Wahnvorstellungen beschrieben. Sie rannte weinend dahin, stürzte zu Boden, wenn ihre Beine sie im Stich ließen, setzte anschließend ihren Weg fort, besinnungslos vor Schmerz, Kummer und Erschöpfung, bis sie sich nicht mehr aufrappeln konnte und alle Tränen versiegt waren. Da schloss sie die Augen und rief die Göttin an.
Im Wald stieg der Dunst auf und vertrieb die laue Luft der frühen Morgenstunden. Blorian marschierte mit großen Schritten, schweißüberströmt trotz der schleichenden Kälte, die aus den hohen Farnpflanzen sickerte, den kleinen, in Windeln gepackten Körper Rhiannons an sich gepresst.
Er beschleunigte seinen Schritt noch einmal und rannte beinahe, um dem Nebel zu entrinnen. Es war, als würde der Wald um ihn herum verschwinden, ausgelöscht von den Göttern. Die Bäume, das Gestrüpp und die moosbewachsenen Steine lösten sich auf in einem weißen Lichtschein und riefen das entsetzliche Gefühl der vorangegangenen Nacht wieder wach; und auf diese Leere hatte sich die feuchte Stille geschlagen, so als wären sämtliche Tiere des Waldes erstarrt, als hätten sämtliche Zweige aufgehört, sich im Wind zu wiegen, als hielte alles, was lebte, den Atem an. Die Elfen hatten sämtlich Angst vor dem Nebel, doch Blorian spürte außerdem noch das Gewicht des Zweifels auf sich lasten und hatte das grauenvolle Gefühl, vom ganzen Wald unverstanden zu sein, abgelehnt, für schuldig befunden und zum Tode verurteilt.
Das Baby selbst blieb stumm und blickte ihn durchdringend an, gleichgültig gegen die Kälte und das Rütteln während des Gehens.
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