Fetjaine, Jean-Louis - Die Elfen 02
Blorian war verwirrt und blieb stehen, um das Kind anzustarren. Sie hatte die gleichen grünen Augen wie ihre Mutter, das gleiche schwarze Haar. Doch sie war von einer unheilschwangeren Aura umgeben, die ihn zutiefst verstörte, und löste eine Empfindung von Gefahr und Bedrohung aus, die er sich nicht erklären konnte. Sie rührte sich nicht, zitterte nicht, trotz der Kälte, die über den Wald herabgesunken war, und schaute ihn einfach weiter an, so nackt und klein in seinen Armen. Der Elf schauderte und bemühte sich, seine Furcht zu bezähmen.
»Ich werde dir nichts zu Leide tun«, sagte er auf der Suche nach Worten. »Es ist nicht deine Schuld, doch wenn Lliane dich behält, wird sie sterben, verstehst du?«
Rhiannon sah ihn an, ohne einen Laut von sich zu geben. Wie konnte sie derart ruhig sein? Er selbst schlotterte, sein ganzer Körper wurde von unkontrollierbaren Zuckungen geschüttelt. Gwydion hatte Recht. Diese Kind trug das Stigma eines bösen Schicksals. Zweimal hatten die Götter ihren weißen Dunst über sie ausgebreitet. Es war nicht nur Lliane, die er schützen würde, indem er das Baby fortbrachte, sondern das gesamte Volk der Elfen ... Er musste Myrrdin wiederfinden. Der wüsste sich um sie zu kümmern.
Blorian hob erneut den Blick und schritt aus, um seinen Weg fortzusetzen, doch der Nebel war noch dichter geworden. Dort, wo sich einige Augenblicke zuvor noch die dunklen Umrisse der Bäume abgezeichnet hatten, befand sich nur mehr eine undurchdringliche, unergründliche Wolke, und nach wie vor herrschte diese lastende, bedrohliche Stille. Unwillkürlich legte der Elf Rhiannon auf die Erde und zog bedächtig seinen langen Dolch heraus. Sein Herz krampfte sich zusammen, und in seiner Kehle formte sich ein würgender Kloß. Das war der Tod, der ihn da umschlich, der eisige Atem des Drachens. Sein Dolch bebte am Ende seines Armes, und bald darauf hatte er nicht einmal mehr die Kraft, ihn zu heben. Mit einem metallischen Klirren fiel er zu Boden.
Der Feind war da, hinter ihm, kaum sichtbar in dem weißen Dunst. Er hörte lediglich seine Stimme,
»Oferceald sar hael hlystanl«
Der Fluch des Eises ... Eine beißende Kälte, durchdringend wie ein gefrorener Pfeil, traf ihn ins Herz. Er fiel auf die Knie, dann hintenüber ins Farnkraut, und der Schmerz nahm ihm den Atem. Doch hinter dem Nebel hatte er sie erkannt.
»Lliane ...«
Die Kälte breitete sich in seinen Adern aus, kühlte seine Schläfen, und die Stimme seiner Schwester, die wieder und wieder ihre entsetzliche Beschwörungsformel wiederholte, drang nur noch gedämpft und eindringlich zu ihm herüber. Schon war der Schmerz schwächer geworden, und die Benommenheit linderte das unerträgliche Leiden. Seine vom Frost geschwollenen Augen sahen, wie sich überall ringsum der Raureif auf die Farne legte, bis sie zerbrachen wie Glas, völlig lautlos. Im Übrigen war gar kein Laut mehr zu hören, nicht einmal der seines eigenen Atems. Ja, noch nicht einmal das Geräusch von Llianes Schritten, als diese näher kam. Er sah sie ihr Kind aufheben und es mit Küssen bedecken, dann nahm er wahr, wie sie sich über ihn beugte, die Augen funkelnd vor Hass, erschreckend anzusehen mit ihrer nackten Haut, die von Schürfwunden überzogen war. Er sah, wie sich ihre Miene wandelte, als sie ihn erkannte, wie der Hass darin in Verblüffung, und dann die Verblüffung in Entsetzen umschlug. Er wollte etwas sagen, doch seine gefrorene Zunge zerbrach ihm im Mund. Und bei seinem letzten Atemzug bildete sich eine Reifschicht auf seinen Lippen.
VII
Llandons Krieg
Das Schreien Rhiannons riss sie aus dem Schlaf. Lliane richtete sich abrupt auf, den Körper zusammengekrampft, als sei gerade ein Schlag auf sie niedergegangen, und sie blieb eine ganze Weile so sitzen, in einem Erschöpfungszustand zwischen Schlafen und Wachen, geschüttelt von spasmischen Zuckungen, und blickte gleich einer Blinden um sich. Ihre Augen brannten, weil sie zu viel geweint hatte, bis zur völligen Ermattung, bis sie schließlich, als ihre Kräfte sie vollständig verlassen hatten, das Grauen und der Schmerz überwältigt und in die Tiefen eines unendlichen Schachtes hineingerissen hatten. Ihr Blick wanderte zu dem Leichnam ihres Bruders, und sie zog jäh die Hand zurück, die quer auf seinem Oberkörper geruht hatte. Blorians Haut verfärbte sich bereits schwarz. Aus seinem Mund war ein Schwall Blut geschossen, das sich um ihn herum über das Gras und den Teppich aus trockenem
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