Fetjaine, Jean-Louis - Die Elfen 02
einander. Er hatte geglaubt, dort als König empfangen zu werden, aber man hatte ihn kaum beachtet. Gorlois hatte den ganzen Tag nicht ein einziges Mal das Wort an ihn gerichtet, ja nicht einmal seine eigene Schwester, die Königin, hatte mit ihm gesprochen, und jetzt verlobten sie sich vor den Augen des Volkes und des versammelten Adels! So war das also, dieser alte Heuchler hatte es auf den Thron abgesehen, dieser über und über von Narben zerfurchte Einäugige, der vom Alter her zweimal der Vater Igraines hätte sein können. Seinen Thron!
Schlagartig begriff er den Sinn von Sorgalles Worten und drehte sich mit derart Furcht erregender Miene zu ihm herum, dass der Herzog Bélinant und seine Frau Helled wie auf Kommando unwillkürlich zurückzuckten. Léo de Grand rang nach Worten und bemühte sich, trotz seines Zornes eine gewinnende Miene aufzusetzen. Der Herzog Bélinant hatte sich schockiert gezeigt über die Zeremonie; vielleicht könnte er zu einem Verbündeten werden, in kommenden Zeiten ...
»Verzeiht mir«, sagte er schließlich. »Ich habe ebenfalls nicht die geringste Ahnung von diesem Theater gehabt.«
Hinter ihm kniete das Königspaar und empfing vom Bischof Gottes Segen.
»Herzog Gorlois, gelobst du mit deinem Eid, Igraine zur Frau zu nehmen, vorausgesetzt dass die Heilige Kirche damit einverstanden ist?«
»Ich schwöre es«, erwiderte Gorlois.
Bedwin stellte der Königin dieselbe Frage, auf die die Antwort einmal mehr nicht zu hören war. Der Bischof war es jedoch zufrieden und schlug über ihren Köpfen ein großes Kreuzzeichen.
»Und ich verlobe euch im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Ego alterutrum despondeo in nomine Patri, Filii et Spiritus Sancti, amen.«
Igraines Bruder warf ihnen einen bösen Blick zu und brummelte einen Fluch, dann wandte er sich erneut an Bélinant und Sorgalles.
»Es ist ja nur eine Verlobung«, bemerkte er so laut, dass es mehrere Reihen weiter hinten noch zu hören war und Gorlois selbst ihm einen schrägen Blick zuwarf.
Léo de Grand bemerkte es und senkte die Stimme.
»Es bleiben die vierzig Tage für das Aufgebot«, fuhr er fort. »Und in vierzig Tagen kann schließlich noch einiges passieren.«
Er bemühte sich um ein zuversichtliches Lächeln, doch Bélinant, der fasziniert war von der Zeremonie oben auf den Stufen, beachtete ihn kaum. Wider alles Erwarten war Bedwin mit den Verlobten noch nicht fertig. Es hatte ein allgemeines Vorwärtsdrängen gegeben am Ende des Segens, da jedermann damit gerechnet hatte, in die Kirche hineinzugehen und die Messe zu hören, aber die Leute wurden jäh in ihrem Schwung gebremst, als ein ganzer Trupp mit weißen Blumengirlanden beladener Pagen auftauchte, die sich wie Ameisen auf dem Platz vor dem Portal ausbreiteten, rund um die Königin und den Seneschall.
Das Folgende ging in einer allgemeinen Verwirrung unter, an die Léo de Grand ebenso wie die meisten anderen Zuschauer nur eine diffuse Erinnerung behielt. Zwei der zwölf Recken, die die königliche Garde bildeten, lösten sich aus der Gruppe und stellten sich hinter den beiden Verlobten auf, so dass sie das Schauspiel mit ihren wuchtigen, schillernden Rüstungen verdeckten, und zwar so perfekt, dass sich die Heirat von Igraine und Gorlois, obwohl der Anschein einer öffentlichen Zeremonie gewahrt blieb, unbemerkt vollzog. Als die Königin sich erhob, war ihre Krone durch eine Haube aus ineinander verflochtenen Blumen ersetzt. Die Recken, die als Trauzeugen auserwählt worden waren, entfernten sich und knufften einan der, wie es der Brauch wollte, kräftig in die Rippen, um die Erinnerung an diesen Augenblick gut zu verankern. Erst als der Bischof Bedwin das rituelle große weiße Tuch über die Frischvermählten breitete, begriffen einige unter all diesen vielen Leuten, was sich da gerade abgespielt hatte. Den Restlichen genügte es, die konsternierte Miene des Abtes Illtud zu sehen sowie die Hektik der Mönche um ihn herum, um zu erahnen, was für eine ungewöhnliche Wendung die Zeremonie genommen hatte.
Schon hatten Gorlois und Igraine den Kirchenvorplatz verlassen, um sich, gefolgt von ihrer geharnischten Garde, in die schattige Kühle der Kirche zu begeben, während ein weiterer Chor, diesmal bestehend aus Kindern, bei ihrem Eintreten ein >Te Deum< anstimmte. Einen Moment lang war ein Schwanken zu merken, aber die bloße Handbewegung eines Geistlichen, der die Prozessionsteilnehmer einlud, ihnen zu folgen, genügte, und die
Weitere Kostenlose Bücher