Fetjaine, Jean-Louis - Die Elfen 02
Grand de Carmelide fühlte sich über diese Art von Belanglosigkeiten erhaben. Er trug trotz der Hitze ein Kettenhemd und darüber noch einen schwarzen Waffenrock, auf dem das Wappen des Hauses Carmelide prangte, ein aufgerichteter schwarzer Löwe mit herausgestreckter Zunge auf weißem Grund, und stolzierte in dem großen Saal auf und ab, wobei er trotz Gorlois’ Verbot sein langes Schwert ostentativ an der Seite trug. Als ältester Bruder der Königin Igraine fand er es unter seiner Würde, sich an dieser Maskerade in irgendeiner Weise zu beteiligen, und er musterte abschätzig die in fließende Seide gehüllten Barone mit ihren Weiberfrisuren und Schnabelschuhen, die sich respektvoll vor ihm verneigten, als er vorüberging.
Die beiden Carmelide-Geschwister waren so grundverschieden verschiedener hätten Bruder und Schwester nicht sein können. Igraine war blond und eher klein, während Léo de Grand stattlich war wie ein Barbar aus dem Norden, mit braunem Haar, dem Schädel und dem schwerfälligen Gang eines Bären.
Genau wie all die anderen hatte er vom Tode des Königs in derselben Mitteilung erfahren, die ihm auf Geheiß der Königin geboten hatte, nach Loth zu kommen. Er hatte damit gerechnet, dort von seiner Schwester empfangen zu werden. Er hatte bereits eine von Fürsorge und Zärtlichkeit überbordende Rede vorbereitet, da er schon im Vorhinein die Herrschaft über das Königreich akzeptierte, die sie nicht versäumen würde in seine Hände zu legen. Doch wie die anderen hatte er die Nacht in der Burg zugebracht, ohne auch nur eine Menschenseele zu Gesicht zu bekommen, ja sogar ohne eine Audienz bei diesem verflixten Gorlois zu erhalten, und er hatte gewisse Mühe, seinem Entschluss treu zu bleiben und seine ruhige, gleichgültige Fassade zu wahren.
Der riesige Saal hatte sich nach und nach gefüllt, und da durch waren seinem Aufund Abschreiten zunehmend Grenzen gesetzt; aber er hatte etwas Zerstreuung gefunden dank der eleganten Aufmachung der vornehmen Damen mit ihrem schelmischen Augenaufschlag und dem prallen Dekolleté, deren Busen durch darunter gewickelte Mousselinetücher nach oben gepresst wurde und beinahe aus ihren bestickten Surcots herausquoll, festlichen Obergewändern, die mit Borten und Tressen verziert oder an den Seiten geschlitzt waren, so dass man ihre feinen Voileblusen sehen konnte. Auch bei einigen Blicken war ihm warm ums Herz geworden. Einfache Ritter, die wie er in Kriegsmontur waren und nicht in Verkleidung, nickten ihm grüßend zu, als er vorüberkam. Alte Waffenbrüder ...
Beim ersten Glockenschlag hatte ihn die sich hereinschiebende Menge bis ans Ende des Saales mitgeschoben. Alle Welt, Herzöge, Grafen oder Ritter, Bürger und niedrige Vasallen, adlige Damen, Junker und Musikanten, drängelte sich in einem aberwitzigen Durcheinander vor der hohen Flügeltüre, die sich soeben geöffnet hatte. Der Herzog Léo de Grand sah zuallererst nichts. Trotz seiner wuchtigen Statur kämpfte er, um in dem Hin und Her der Hofschranzen seine Stellung zu halten, wobei er über das unsinnige Stoßen und Schieben fluchte und, wenn es sein musste, auch seine Ellbogen gebrauchte. Als er aufblickte, drängte eine Kette aus mit Lanzen bewaffneten Wachen das Publikum energisch zurück, um Platz zu schaffen für einen Herold in einem seidenen, halb roten, halb weißen Wappenrock, der mit seinem von einem wuchtigen Knauf gekrönten Stab auf die Steinplatten am Fußboden klopfte.
»Die Königin!«
Igraine erschien, blasser denn je, die Hand auf die Faust des Seneschalls und Herzogs, Gorlois von Tintagel, gelegt. Sie trug ein langes, rotes Gewand, das mit Hermelin besetzt sowie mit einem Muster ineinander verschlungener Rosen aus Goldund Silberfäden bestickt war, und hatte einen goldenen Gürtel um die Taille gebunden. Hals und Wangen waren in einen Wimpel aus Mousseline gezwängt, ein um Kopf, Hals und Nacken drapiertes Tuch, auf dem die Königskrone saß. Ihr langes blondes Haar hatte sie unter einem Schleier verborgen, der ihr bis über die Schultern fiel. Ein dunkelblauer Umhang, der von einem kunstvoll geschmiedeten goldenen Verschluss gehalten wurde, breitete sich blütenförmig hinter ihr aus und wurde von zwei farblich passend gekleideten Pagen getragen. Einen Schritt dahinter ging, mager und trübselig in seiner grauen Kutte, Bruder Blaise, ihr Beichtvater.
Ein Raunen lief durch die ruhiger gewordene Menge, das Igraine allerdings falsch verstand. Ihre Hand, die auf der von
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