Fettnaepfchenfuehrer Frankreich
Neugeborenes im Winter, feierlich überreicht und schließlich unter den Augen aller langsam entblättert. Auch wenn man diese Stückchen für sein eigenes Dinnerdessert kauft, wird so verfahren. Niemals würde ein Franzose auf die Idee kommen, eine tarte aux cerises schon im Laden aus der Verpackung zu ziehen und im Gehen auf der Straße zu essen. Paula, die das Törtchen nicht einpacken lassen wollte, hat die Verkäuferin völlig verunsichert, denn in erster Linie ist das Verpacken ihr Job, mehr als das Verkaufen selbst.
Was können Sie besser machen?
Ein guter Vorsatz von Paula ist sicherlich, niemals dann eine pâtisserie zu betreten, wenn sie gerade in Eile ist und/oder einen Bärenhunger hat. Das gilt für alle französischen Geschäfte. Egal ob Supermarkt, Metzgerei oder Blumenladen – »mal eben schnell« ist nicht wirklich angesagt. Im Gehen auf der Straße oder in der U-Bahn sieht man Franzosen nur selten essen, auf langen Reisen im TGV vielleicht. Natürlich bricht auch die jüngere Generation mit diesen Tabus, indem Döner oder Burger im Gehen verspeist werden, doch so häufig wie in Deutschland sieht man das nicht. Der Vorgang des Kaufens ist in Frankreich fast genauso wichtig wie das Produkt selbst. Das gilt auch für die riesigen Supermärkte, wo man vom Computer über die Heizdecke bis zur Damenfeinstrumpfhose und dem lebenden Hummer auch noch zwanzig Sorten Honig findet. Und nicht nur wegen der Riesenauswahl dauert es hier lange: Ein zweites Hindernis auf dem Weg zum schnellen Einkauf sind die Kassen. Während in Deutschland Kassierer und Kassiererinnen mindestens sechzig Produkte pro Minute scannen müssen – Gerücht hin oder her –, gibt es in Frankreich wohl eher die Ansage, ein Produkt in sechzig Minuten über den Scanner zu ziehen. Das ist natürlich maßlos übertrieben, doch wenn man an die »deutsche Schnelligkeit« gewohnt ist, kann einen die französische Langsam- oder Gemütlichkeit, wie man’s nimmt, in den Wahnsinn treiben. Nehmen Sie sich also zum Einkaufen in Frankreich Zeit.
Wenn Sie eine pâtisserie betreten, dann machen Sie eine kleine Zeremonie daraus: Suchen Sie die Plätzchen und Törtchen fein säuberlich aus und stellen Sie sie in der hübschen Verpackung auf den Tisch. Genießen Sie das langsame Auspacken. Sehen Sie sich schon an der Verpackung satt, dann müssen Sie das Törtchen nur noch anschauen und kaum noch essen. Und wenn Sie eine leckere, schön eingepackte Nachspeise bei einer Essenseinladung mitbringen, sind Sie sicher ein sehr willkommener Gast.
Und noch ein Tipp: Die Kekse und Küchlein sind in Frankreich zwar sehr teuer und dafür auch noch winzig, allerdings sind sie auch sehr reichhaltig, und wenn man sie langsam isst, reicht wenig davon schon vollkommen aus. Die bunten »Kekse für einen Euro«, die macarons , sind eine französische Spezialität – man muss sie unbedingt probieren!
36. Rote Ampel, rotes Tuch
Katja denkt um: Erst das Vergnügen, dann dieArbeit
Es war schon kurz nach sieben. Um sieben war Paula an der Treppe der BasilikaSacré-Cœur verabredet. Mit Katja. Und jetzt war sie wegen des Kirschkuchens schon zu spät dran. Sie hasste es, sich unter Zeitdruck zu fühlen. Noch dazu stand sie an der Ampel an der Metrostation Pigalle und es wurde einfach nicht grün. Um sie herum schien das niemanden zu stören – ob jung oder alt, Frau oder Mann, alle gingen sie bei Rot über die Straße. Als wäre es das Normalste der Welt. Mit Kindern! Trotz der vorbeihetzenden Massen stand Paula fest wie ein Felsen. Sie würde auf Grün warten, komme, was wolle. Dafür war ihr der Pariser Verkehr einfach zu unübersichtlich, zu hektisch und irgendwie auch zu willkürlich. Und überhaupt, das lernt man doch von klein auf, dass man bei Rot nicht über die Straße geht. Wozu gibt es sie sonst, die blöden Ampeln? Ein paar Sekunden später sprang sie auf Grün und Paula überquerte langsam und bedächtig die Straße.
Als sie endlich auf der obersten Stufe der pompösen Treppe angekommen war, erstreckte sich ein einziges Lichtermeer zu ihren Füßen. Der Tag war schon fast der Nacht gewichen und Paris in die magische blaue Stunde gehüllt. Hier oben hatte man das Gefühl, alles sei möglich, als bestünde das Leben aus unzähligen Möglichkeiten. Katja kam auf die verträumte Paula zugestürmt und entschuldigte sich überschwänglich für die Verspätung. Dann hockten sie auch schon gemütlich zusammen, am Fuße der Sacré-Cœur, um sie herum kleine
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