Fettnaepfchenfuehrer Frankreich
kleinen hübschen Pappkarton. Paula wurde immer wütender. Sie hatte doch gesagt, dass sie keine Verpackung wolle, warum kümmerte sich die Frau nicht darum? Jetzt stand sie sicher schon eine geschlagene Viertelstunde in dieser pâtisserie , obwohl sie doch einfach nur etwas Schnelles auf die Hand hatte haben wollen. Ein kleines Croissant oder ein mille-feuille , eine Cremeschnitte aus Blätterteig, oder ein éclair , gefülltes und glasiertes Brandteiggebäck, oder irgendetwas dergleichen. Und damit nicht genug! Die Verkäuferin klappte jetzt die oberen Enden der Pappschachtel zusammen, zog mit ihren langen Fingernägeln einen niedlichen Aufkleber von einem großen Blatt ab und klebte den Karton damit fein säuberlich zu. Paula streckte nun die Hand danach aus, doch sie bekam ihre tarte aux cerises noch immer nicht. Die Dame nahm sie mit zur Kasse, dort wurde ein Betrag eingegeben, ein Zettel ausgedruckt und Paula musste zuerst bezahlen: 6,35 Euro. Sie war fassungslos. Jetzt aber nichts wie weg und keine Diskussionen mehr, dachte sie sich, legte einen Zehn-Euro-Schein hin, und während die Verkäuferin das Wechselgeld heraussuchte, nahm sie sich unter ihrem strafenden Blick einfach den kleinen Pappkarton. Vor den entsetzten Augen der Frau öffnete die wütende Paula nun die Schachtel, zerrte das Törtchen aus seinem niedlichen Bettchen und fing an, es sich in den Mund zu stopfen. » Avez-vous une poubelle? « (Haben Sie einen Mülleimer?), fragte sie die Verkäuferin und zeigte auf den Pappkarton, den diese mit so viel Liebe und Mühe hergerichtet hatte. Die antwortete gar nicht, sondern starrte Paula nur an. Sie musste sich auch nicht um die nachfolgende Kundin kümmern, denn auch diese und überhaupt alle Menschen im Laden schauten auf Paula, die mit einer Hand ihr Wechselgeld entgegennahm, während sie mit der anderen Hand ihr Törtchen aß. Sie ließ den Pappkarton einfach stehen und machte sich daran, aus diesem Zeitloch herauszukommen. Fast genoss sie die Blicke der anderen, die bestimmt für den Rest des Tages über sie reden würden. Warum hatte die Verkäuferin auch nicht auf sie gehört?! Als sie zur Metro eilte, wusste sie, dass sie nie wieder unter Zeitdruck eine pâtisserie betreten würde, vielleicht überhaupt nie wieder.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Paula hat eindeutig einiges verkehrt gemacht. Zunächst hat sie die boulangerie (Bäckerei) mit der pâtisserie (etwa: Konditorei) verwechselt. Während es in Deutschland beim Bäcker nicht nur Brötchen und Rosinenschnecken, sondern auch Kuchen und eventuell Törtchen gibt, sind in Frankreich diese Leckereien fein säuberlich voneinander getrennt. Denn jeder kleine Laden, der Essen verkauft, ist spezialisiert. Die Patisserien machen ihre Pralinen selbst, und auch ihre macarons , wie die farbenfrohen Kekse – bestehend aus zwei Mandelbaiserschalen, die durch eine Buttercreme zusammengehalten werden – heißen, die Paula »Makkaroni« nannte. Die Bäcker backen ihr eigenes Baguette, denn nicht jeder kann alles und vor allem nicht alles gleich gut. Mittlerweile ist diese Spezialisierung allerdings dabei sich aufzulösen, und immer häufiger findet man boulangerie und pâtisserie in einem. Doch eben nicht immer. Während man in Frankreich (neben den USA) die größten Supermärkte der Welt findet, gibt es auf der anderen, der traditionellen Seite des Landes noch viele kleine (Lebensmittel-)Läden, die jeweils ein sehr eng definiertes Angebot haben. Beim Fleischkauf zum Beispiel muss man zuweilen ein wenig suchen, denn es gibt einige Händler, die sich auf jeweils einzelne Fleischsorten spezialisiert haben. So findet man in Paris nicht selten Metzgereien, die entweder nur Pferdefleisch, nur Huhn, nur Schwein oder nur Rind verkaufen. Die Französinnen (es sind in Frankreich nach wie vor häufig die Frauen, die in diesen Läden einkaufen) machen ein Ritual daraus, von einem Laden zum nächsten zu eilen und sich durch das jeweilige Sortiment zu fragen und zu riechen.
Was die pâtisserie angeht: Franzosen sehen ihre kleinen Törtchen und Kekschen wirklich als eine Art Kunstwerk an. Es ist für sie unvorstellbar, dass man sich nicht gemütlich hinsetzt und das wunderschöne Stück der Schöpfung gebührend feiert, während man es verspeist. Nicht unbedingt mit einer Tasse Tee, aber zumindest im Sitzen. Meistens werden diese Leckereien als Geschenk zu einer Abendesseneinladung mitgebracht. Dann werden die Süßigkeiten, die verpackt sind wie ein
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