Fettnaepfchenfuehrer Italien
Reden im Geschäftlichen nicht gewöhnt. Und er dachte, wenn der jetzt so weiter redet, muss er gleich weinen vor Rührung, und ich mit.
»Wir dachten, wir könnten heute Abend essen gehen«, schlug Paul Weiss auf Englisch vor, damit auch Lo Mele mitreden kann. Der war peinlich berührt ob des »Wir«.
»Aha. Gute Idee«, sagte Trombetta.
»Wie wäre es um sieben? Ich war mit meiner Tochter in einem netten Lokal, ich könnte einen Tisch vorbestellen.«
»Um sieben?« Trombetta und Lo Mele schauten sich ungläubig an, als ob Paul Weiss gerade vorgeschlagen hätte, bei Gott einzukehren.
»Da habe ich noch keinen Hunger«, antwortete Trombetta. Lo Mele nickte.
»Gut. Um acht?«
»Sagen wir halb neun, dann kommt es ungefähr hin«, meinte Trombetta.
Zum Glück ist Biagio Greco nicht mit im Raum, dachte Paul Weiss, sonst käme der auch mit.
»Einen Moment noch«, sagte Trombetta und hob die Hand. Er schien nachzudenken. »Ach, nichts.« Paul Weiss kam die Ahnung, dass er überlegt hatte, ob er Greco verständigen sollte.
»Wo ist noch mal dieses Lokal?« fragte Lo Mele.
»Treffen wir uns einfach an der kleinen Bar direkt an der Piazza San Giovanni, an der Mauer, wo die Autos durchfahren. Oder nein, warten Sie«, er zog das Kärtchen der Gaststätte aus seiner Tasche, »Via Fregene 14. Einfach nach der Mauer eine der Querstraßen.«
»Die Mauer, wo die Autos durchfahren?« wiederholte Trombetta. »Naja, Sie haben ja sicher ihr Telefon mit heute Abend, oder?«
Paul Weiss nickte.
»Wollen Sie eigentlich jetzt schon gehen?« fragte Trombetta ihn so, wie man einen ungezogenen Schüler zur Rede stellt.
»Ähm, ja, ich würde gerne noch ein paar Kalkulationen durcharbeiten und Rücksprache mit der Zentrale halten.«
»Machen Sie nur«, sagte Trombetta, jetzt wieder milde.
Dieser elende Spieler, dachte Paul Weiss, aber irgendwie ist er mir auch sympathisch.
Was ist diesmal schief gelaufen?
Italiener sind in stärkerem Maß emotional als Deutsche. Deswegen kann man Jacopo Trombettas Sorge um seine Mitarbeiter für voll nehmen. Es kann aber auch sein, dass er sich in einem guten Licht präsentieren möchte, als treu sorgender Patriarch, der in der familien- und freundschaftsbetonten italienischen Gesellschaft nach wie vor eine hohe Stellung und eine wichtige Funktion hat. In jedem Fall war es gut, dass Paul Weiss den Chef Trombetta in Anwesenheit seiner Mitarbeiter, wie in diesem Fall Stefano Lo Mele, »Presidente« nennt, alles andere könnte falsch ausgelegt werden. Es gilt, die formalen Anforderungen zu wahren!
Was jedoch gar nicht geht in Italien: ein Abendessen um 19 Uhr vorzuschlagen. 19 Uhr ist die klassische Aperitivo -Zeit, eine eigentlich mailändische Erscheinung, die sich inzwischen aber durchgesetzt hat. Ursprünglich war ein Aperitivo ein Getränk, das man vor dem Essen zu sich genommen hat, etwa ein alkoholfreier Bitter wie Crodino oder auch ein Likör. Inzwischen hat der Begriff eine Erweiterung erfahren: Um die lange Pause zwischen Feierabend und Abendessen zu überbrücken, sind Lokale zuerst in Mailand dazu übergegangen, neben den Getränken auch Häppchen zu servieren oder ein Büffet anzubieten. Bei den angebotenen Getränken handelt es sich aber keineswegs um die bekannten Aperitivi im herkömmlichen Sinne. Es kann à la carte bestellt werden.
Mittlerweile gibt es bei vielen Aperitivi quasi vollwertige Abendessen, bestehend aus Salaten, Pizzastücken, Pasta, Fisch, Obst, Desserts. Oft ist dieses Büffet im Getränkepreis enthalten (angesichts dessen ist ein Cocktail zu einem Preis von rund acht Euro wirklich nicht teuer, sondern ziemlich günstig!).
Zugleich zeigt die Aperitivo -Kultur auch einen deutlichen Wandel in der italienischen Gesellschaft auf: Das Private und das Geschäftliche, zwei recht streng getrennte Sphären in Italien, vermischen sich stärker. Der Aperitivo war zunächst ein klassisches Business-Treffen, zu vergleichen mit den in deutschen Städten angebotenen After-Work-Partys. Zum Aperitivo geht man heute nicht nur mit den engeren Kollegen, sondern durchaus auch mit Kollegen, die man nicht so gut kennt. Das Angebot hat sich seit einiger Zeit verselbstständigt, zum Aperitivo in den edleren Lokalen gehen Geschäftsleute, in den trendigen Kneipen treffen sich Schüler, Studenten und Freiberufler.
Das Zögern Lo Meles, zum Abendessen mitzugehen, hat vermutlich seinen Grund darin, dass er auf einer deutlich niedrigeren Hierarchiestufe als sein Chef steht und deswegen von
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