Fettnaepfchenfuehrer Italien
weiter oben ab. Ist doch irgendwie traurig.«
Franziska nickte. »So ein richtiges Nachtleben-Viertel gibt es heute nicht mehr, oder?« fragte sie.
»In Testaccio gibt es ein paar Clubs, aber ansonsten verteilt es sich eher quer über die Stadt«, antwortete Catarina.
»Testaccio?«
»Ja, das ist ein Stadtteil in der Nähe der Piramide, die Du sicher schon gesehen hast.«
»Klar, als ich zum Strand gefahren bin.«
»Genau die.«
»Komm, gib noch mal die Flasche!« sagte Franziska zu Catarina. Franziska nahm einen kräftigen Schluck.
»Hey, lass mir auch noch was drin.«
Catarina leerte die Flasche vollends. »Ich glaube, jetzt bin ich reif für die Villa Borghese.«
Die Beiden gingen zügig die Via Veneto hoch und lachten dabei viel. Manchmal kamen aufgetakelte Frauen an Ihnen vorbei, einige dicke Luxuslimousinen begegneten ihnen ebenfalls. Auch die Dichte der Frauen mit aufgespritzten Lippen schien auf der Via Veneto besonders hoch zu sein. Im Park setzten sie sich auf eine Bank, auf der einen Seite einen Papierkorb neben sich, auf der anderen Seite eine auf einem Sockel montierte Büste. Beide schauten still den Leuten zu, die vorbei kamen: Ein paar Jogger, der eine oder andere Radler, junge Paare, die einen Platz suchten, an dem sie einigermaßen ungestört waren. Und ein paar Hundebesitzer.
»Der macht ganz schön müde, der Wein«, sagte Catarina schließlich und strich sich durchs Haar.
»Wir sind das halt nicht gewöhnt, um diese Uhrzeit zu trinken.«
»Das ist ja auch gut so.«
»In der Tat.«
Was ist diesmal schief gelaufen?
Was Franziska nicht wissen konnte: In vielen Gegenden Italiens wird erwartet, dass man bei Familienfesten stets neu gekleidet kommt. Was man bereits einmal bei einem Fest getragen hat, kann man nicht noch einmal anziehen. „Die anderen“ könnten sich sonst das Maul darüber zerreißen. Das ist ein Zwang, dem viele Frauen sich nicht gerne unterwerfen, aber sie unterwerfen sich ihm. Insofern war Franziskas etwas giftige Reaktion unangebracht. Aber Catarina hat ja nachsichtig darüber hinweg gesehen und sie zu dem Fest eingeladen.
Natürlich müsste Catarina, wenn Franziska mitkommen würde, Rücksprache mit dem Brautpaar oder besser, dem Organisator des Festes, halten. Italienische Hochzeiten werden in der Regel nur mit der engsten Verwandtschaft gefeiert, was dann so etwa 200 Personen umfassen kann: Neben der Familie werden selbstverständlich alle Cousinen und Cousins nebst Anhang und Kindern eingeladen, dazu enge Freunde, die Nachbarn und und und…
An und für sich bestehen italienische Hochzeiten tatsächlich vor allem aus Essen. Es wird nicht nur die komplette Essensreihenfolge abgearbeitet, sondern es gibt gleich mehrere Hauptgerichte und immer neu dazu die passenden Weine. Weil so ein Fest teuer ist, sind auch die Geschenke von deutlich höherem Wert, als man sie gemeinhin in Deutschland macht.
Ebenfalls ein Bestandteil jeder Hochzeit ist ausdauerndes »Bacio! Bacio!« -Rufen der Gäste, das so lange dauert, bis sich das Brautpaar verliebt in die Arme sinkt und sich ausdauernd küsst. Dann ist wieder Ruhe für eine Weile, bis es wieder von vorne anfängt: »Bacio! Bacio! Bacio!«
Das Brautpaar hetzt derweil von Tisch zu Tisch und lässt sich den Stress nicht anmerken, den es mit sich bringt, alle 200 Verwandten persönlich zu begrüßen (»Schatz, wer ist das noch mal?«) und überall einen kurzen Schwatz zu halten. Auch das gehört zum Bella-Figura- Machen, und es steht außer Frage, dass jedes Hochzeitspaar am wichtigsten Tag seines Lebens die »schönste Figur« machen will, die möglich ist.
Vor dem Hintergrund dieses Bella-Figura -Konzepts ist auch der Zwang zu sehen, zu jedem Familienfest mit neuer Kleidung aufzulaufen. Der Kern dieses Konzepts ist, zu jeder Zeit und in jeder Situation gut zu wirken. Es ist eine grundsätzliche Frage, souverän und positiv zu wirken, selbst wenn die Situation oder der Umstand überhaupt nicht positiv oder schön ist. Was zählt, ist, dass es in der Öffentlichkeit so wirkt, als sei alles bestens. Dazu gehört die Kleidung, dazu gehört aber auch ein Flunkern, etwa wenn bei den Kindern eine Scheidung ins Haus steht (und damit das Ideal des Familienlebens zerbricht). Die wahren Ursachen muss man dann nicht nennen, maximal umschreiben oder gleich andere Gründe anführen.
Aus diesem Grund wirkt das italienische gesellschaftliche Leben auf deutsche Betrachter oft wie eine einzige riesige Show, egal, ob es um
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