Feuchte Ernte. Zwölf schwule Herbstgeschichten.
Ihnen gehörte die namhafte Strumpffabrik, die den meisten Einwohnern der Kleinstadt Arbeitsplätze bot. Es gab keinen im Ort, der Strümpfe von einer anderen Firma trug, das war man Kellys Familie einfach schuldig. Auf Kellys stadtbekannten Partys gab es Getränke und Essen, so viel man wollte, und die Mädchen der Stadt rissen sich darum, als Partyhighlights herumgereicht zu werden. Der rotblonde, picklige, hagere und ziemlich fiese Kelly war wahrscheinlich der Einzige, dessen »Weibergeschichten« tatsächlich stimmten. Sein Portemonnaie war halt wichtiger als sein Aussehen oder sein Charakter.
Alexander brauchte nicht zu klingeln, die Haustür des Gutshauses und die Wohnungstür standen offen. Er prüfte noch einmal seine gut sitzenden Jeans und das enge, schneeweiße T-Shirt im Spiegel gleich am Eingang. Alexander war nicht besonders groß, aber sein schlanker Körper, das hübsche Gesicht und das dichte, blonde Haar waren schon in Ordnung.
Der weitläufige »Salon« im Erdgeschoss quoll über vor Partygästen. Discomusik dröhnte, als wären alle Gäste schwerhörig. Es roch nach Alkohol und Zigarettenqualm. Alexander zog die Nase kraus. Seine Eltern waren ziemlich streng, da hatte es nie Zigaretten oder Schnaps gegeben, und Alexander fand auch, dass man so was nicht unbedingt brauchte.
Kelly entdeckte ihn und winkte ihm nur kurz zu. Er lag halb auf einem kleinen Sofa und war mit einer äußerst leicht bekleideten Blondine beschäftigt. Alexander guckte woanders hin. Er sah die meisten Jungs und Mädchen aus seiner Klasse und noch eine Menge anderer junger Leute, die er nicht kannte. Eigentlich bereute er es, dass er hergekommen war. Es gibt Partylöwen und Partymäuse, aber Alexander gehörte weder zu den einen noch zu den anderen. Er war einfach kein Party-Mensch.
Jemand legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. Alexander fuhr herum.
Er kannte den jungen Mann nicht, der ihm plötzlich gegenüberstand, er hatte ihn bestimmt noch nie im Leben gesehen, und doch kam er ihm seltsam vertraut vor. Der Fremde war nur wenig größer als Alexander. Er trug schwarze Jeans und dazu ein schmal geschnittenes, blaues Oberhemd. Er hatte etwas längeres, dunkles Haar und große, schöne, dunkelblaue Augen.
»Hi!«, sagte er mit einer angenehmen Stimme, die Alexander trotz des Lärms wie wirklich gute Musik durch die Glieder rieselte. »Kennen wir uns schon? Ich bin Robert.«
»Hi zurück! Ich heiße Alexander.« Er hatte irgendwie einen Kloß im Hals. Er wusste auf einmal, warum ihm Robert so vertraut vorkam – er war genau der Typ, den Alexander sich als Freund wünschte.
»Bist du das erste Mal hier?«
Alexander nickte. »Ich geh sonst nicht auf Partys. Kelly hat mich gefragt, ob ich mal herkommen will. Und du?«
Robert lachte. Alexander sah seine hübschen Zähne, und überhaupt fiel ihm jetzt erst richtig auf, dass Robert eine tolle Figur hatte und ein wirklich schönes Gesicht.
»Ich bin bloß verwandt, wohne hier im Haus. Kelly ist ein Cousin von mir. Wenn ich nichts weiter vorhabe am Freitagabend, schau ich hier eben mal vorbei.«
Ein Cousin von Kelly, dachte Alexander, aber sonst ein Unterschied wie Tag und Nacht! Er spürte ein heißes Kribbeln in der Magengrube, und nicht nur da, auch etwas tiefer kribbelte es wie verrückt. Seine Knie schienen butterweich zu werden. Hatte Robert wirklich so lange, seidige Wimpern und wirklich so schöne, blaue Augen wie Bergseen? Aber das musste er sich aus dem Kopf schlagen. Auch Robert kam bestimmt nur wegen der »Weiber« aus seinem Zimmer nach unten in den Salon.
»Ich wollte auch nur mal vorbeigucken. Muss noch zu einer Geburtstagsfeier«, schwindelte Alexander. Es war schlimmer, jemanden mit Mädchen zusammen zu sehen, den man mochte, als irgendjemanden, der einem egal war. Er wandte sich wieder zur Tür.
»Warte doch mal!« Robert hielt ihn zurück. »Wenn’s dir hier zu laut ist, können wir auch hoch in mein Zimmer gehen.«
Alexander fühlte sich wie am Boden festgeklebt. Mit diesem tollen Typen in dessen Zimmer? Was sollte das denn? Das war bestimmt eine Falle! Kelly und der dicke Dirk und die anderen wollten ihn testen, die wollten wissen, ob Alexander nun schwul wäre oder nicht. Darauf würde er nicht hereinfallen, so blöd war er nicht!
»Tut mir leid, ich muss weg!«, sagte er kühl, obwohl er eine verdammte Sehnsucht danach hatte, sich an diesen schönen Jungen dicht anzuschmiegen und ihm alles zu geben, was er bieten konnte. Er ging rasch auf die
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