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Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Feuer der Götter: Roman (German Edition)

Titel: Feuer der Götter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Simon
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dabei, sie auseinanderzufalten. Bei Naaves Eintreten verbeugte sie sich hastig. »Ich bin Iine, eine Tempeldienerin, Herrin«, sagte sie mit leiser Stimme. »Der Hohe Priester hat mich angewiesen, dir zur Seite zu stehen. Wenn du etwas wünschst, brauchst du es mir nur zu sagen.«
    »Ich wünsche ein Fläschchen Axotsud«, schnappte sie.
    »Oh. Da muss ich den Hohen Priester erst …«
    Naave machte eine wegwerfende Handbewegung. Selbstverständlich würde dieses Mädchen ihr nicht jeden Wunsch erfüllen. Eine Floskel war das, nichts weiter, um sie ruhigzustellen. »Das musst du nicht. Verzeih mir, ich bin ein wenig unleidlich, glaube ich.«
    Vorsichtig lächelte das kaum zwölfjährige Mädchen. »Aber frisch gepressten Peccasaft? Frisch geröstetes Manoqbrot? Wie wäre das?«
    »Das klingt verlockend.«
    Iine verneigte sich erneut, bevor sie aus dem Zimmer huschte. Naave hoffte, dass das Mädchen lange fortblieb. Ihre Selbstbeherrschung rann aus ihr wie aus einem aufgeschlitzten Manoqmehlsack. Aufheulend warf sie sich auf das Bett und vergrub das Gesicht in dem duftenden Stoff. Warum war Iq-Iq, das große Schicksal, so ungerecht zu ihr? Erst die Mutter, dann Tante Nanxi. Und Royia … Auch er war ihr verloren. Sie schrie und weinte um sie alle. Unter ihren gekrümmten Fingern riss der zarte Stoff. Der Schlaf der Erschöpfung erlöste sie von der Qual.

    Als sie die verklebten Lider hob, hockte das Mädchen auf dem Boden, ein Tablett mit Brot und Saft auf dem Schoß. Unsicher sah Iine auf. »Du hast schlecht geträumt, Herrin. Geht es dir jetzt besser?«
    Naave konnte sich an keinen Traum erinnern. Schwer wie Bronze fühlten sich ihre Glieder an, als sie sich aufsetzte. Ihr Leib zitterte, obwohl sie nicht fror, und sie schlang eine Decke um sich.
    »Möchtest du trinken?« Schüchtern hob die Dienerin den Becher. Naave ließ ihn sich reichen und trank den köstlichen Saft. Sie fühlte sich wie nach einem endlos langen Marsch und wäre am liebsten wieder unter die Decken verschwunden. Tagelang …
    Ach, Tante Nanxi. Hätte ich nur nicht den Yioscalo bestohlen. Dann wäre ich da gewesen  … Nein, ihr Vater war schuld. Er und seine Männer! Sie durfte sich nichts anderes einreden; das würde es nur mehr schlimmer machen.
    »Ich bin so allein …«, wisperte sie in sich hinein.
    »Herrin, du hast wenigstens mich«, piepste das Mädchen errötend.
    Ich will nicht dich. Keinen Menschen. Ich will … ich will Royia.
    Er lebte immerhin. Zwar hielt Naave es für unwahrscheinlich, dass er sich noch einmal in die Stadt wagen würde, die ihm so übel mitgespielt hatte, und im Tempel würde er schon gar nicht erscheinen. Aber er lebte. Das genügte, um sich einzureden, dass es zumindest möglich war, ihn wiederzusehen.
    Aber auch diese Hoffnung tat weh. Naave spürte ihr stechendes Herz wie das einer alten Frau.
    »Was hast du unter dem Tablett?«, fragte sie, in der Hoffnung, dass es etwas wäre, das sie auf andere Gedanken bringen könnte. Wenigstens drei, vier Herzschläge lang … Iine zog zwei lederbespannte Platten hervor, die miteinander verbunden waren, und klappte sie auf. Mehrere steife Bögen waren in der Mitte befestigt, und sie ähnelten jenem Papier, das Tlepau Aq vorhin in der Hand gehabt hatte. Schriftzeichen und Bilder waren mit braunen Linien darauf gemalt.
    »Ein Buch?«
    »Ja, Herrin. Der Herr sagte mir, dass du lesen kannst und ich dir etwas bringen soll.« Das Mädchen klappte die Lederplatten wieder zusammen und reichte das Buch hoch. Hastig wischte sich Naave die Finger ab, obwohl sie ja keine kleine schmutzige Diebin mehr war, und ergriff es mit einer gewissen Scheu.
    Die Spiralen, Kreise, Punkte und Figürchen fügten sich nur langsam zu Wörtern. Naave fühlte sich zurückversetzt in die Hütte der Mutter, als diese ihr die Schriftzeichen beigebracht hatte. Es gibt etwa vierhundert verschiedene Zeichen und Bilder. Darüber hinaus noch viele mehr, aber die beherrschen nur wenige Priester, und für das meiste sind sie auch unnötig. Sieh, diese Figur ist einfach: Das ist der Gott-Eine, und sie steht für ›Sonne‹, aber auch für ›leuchtend, strahlend, rein‹ und ›mächtig, unfasslich, groß‹. Aus dem Text ergibt sich die genaue Bedeutung. Es kann also sein, dass du das Abbild des Gott-Einen findest, wenn es darum geht, die Größe einer Raubkatze zu beschreiben. Diese Kreise stehen natürlich für die Monde. Wenn du drei nebeneinander siehst, dann bedeuten sie  …
    Ein Tropfen fiel

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