Feuer der Götter: Roman (German Edition)
ist nicht das Festopfer; das wird er dir nachher schicken. Es ist … aber so sieh selbst, Herr.«
»Du machst es wirklich spannend. Öffne die Vorhänge.«
Zwei Hände schoben sich in den Spalt und zogen den Stoff beiseite. Dann trat der Verwalter zurück.
»Naave!«
Ihr Vater stand an dem ausladenden Tisch, das Schreiben in der Hand. Es war derselbe Tisch, an dem sie beide gegessen hatten. Derselbe Raum, der auf eine Terrasse hinausführte. Diesmal jedoch häuften sich keine Speisen auf der Tischplatte aus dunklem Macacoholz, stattdessen alle Arten von Schmuck und eine riesige rotgefleckte Tierhaut.
Tlepau Aq sah aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte: eine hochgewachsene Gestalt mit kurzgeschorenem Grauhaar, die ein durchscheinender Seidenmantel locker umfloss. Er lächelte.
»Mein Herr lässt dir noch sagen, dass du mich züchtigen lassen sollst«, warf der Verwalter ein, »falls die Behauptung der Person, deine Tochter zu sein, nicht stimmt.«
Tlepau Aq runzelte die faltige Stirn. »Auf solche Ideen kommt nur Qu!« Scheinbar wahllos langte er in eines der Schmuckhäufchen und förderte zwei goldene Ohrscheiben zutage, die er dem Verwalter überreichte. »Gib das meinem lieben Freund Qu, mit meinem Dank. Es heißt zwar: Silber für sein Haus, Gold für den Tempel. Aber so genau muss man ja nicht immer hinsehen, stimmt’s?«
»Eine Sache noch: Mein Herr hat etwas getan, das er sehr bedauert. Wenn du darüber erzürnt bist, so sei es dir unbenommen, mich zur vergeltenden Bestrafung heranzuziehen.«
»Bei der Macht des Einen! Was hat Freund Qu denn angestellt?«
»Er hat deine Tochter züchtigen lassen. Auf die für Diebstahl übliche Art. Ich soll dir anbieten, mich auf die gleiche Art …«
»Diebstahl!« Tlepau Aq schien sich ein Lachen nicht verbeißen zu können. Er klopfte dem Mann, der sich rasch verneigte, auf die Schulter. »Geh.«
Der Verwalter des Silberhauses eilte aus der Halle, und auch die Schritte der Sänftenträger entfernten sich. Tlepau Aq schlenderte auf Naave zu. Die Sänfte war so hoch, dass er zu ihr aufblicken musste. Er legte eine Hand auf ihren Unterarm.
»Meine liebe Tochter.« Er schien sich aufrichtig über ihre Rückkehr zu freuen. »Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht.«
Du? Um mich? Die du damals mit der Mutter in die Gosse geschickt hast?
»Ich hatte sogar Tempelwächter in den Graben entsandt, in der Hoffnung, dass sie dich dort finden. Erst hielt ich dich für verschollen, entführt von dem Feuerdämon, den du hättest opfern sollen.« Beiläufig spielten seine Finger mit den Enden des seidenen Bandes um ihr Handgelenk. »Aber du wolltest gar nicht zurück, oder?«
Sie presste die Lippen zusammen, wusste nicht, ob sie die Wahrheit sagen sollte. »Nein«, gestand sie schließlich.
»Das dachte ich mir.« Seine Hand sackte herab. Seine mit tiefschwarzen Strichen umrahmten Augen glitten nachdenklich ins Leere. Dann straffte er sich, schritt aus ihrem Blickfeld, einen Befehl rufend, und kehrte kurz darauf mit einer Statuette Tiques zurück. Er hob die schwere, aus Malachit geschnittene Figur vor ihr Gesicht. »Küss deinen Lieblingsgott auf den Mund und schwöre, dass du nicht mehr davonlaufen wirst.«
Nein! Verdammt! Naave schüttelte den Kopf.
»Na, komm. Willst du denn weggesperrt werden, bis du dich besinnst, dass du kein Kätzchen mehr bist, das durch die Gassen tollt?«
Nur das nicht …
Aber Tique ist ja tot. Der Schwur ist nicht gültig.
Sie drückte die Lippen auf den Mund des Gottes. »Ich schwöre es«, murmelte sie. Ihrem Vater einen zornigen Blick zu schicken, konnte sie dennoch nicht lassen. Er schien es nicht zu bemerken.
»Das freut mich, liebe Naave.« Er stellte die Figur auf den Tisch und kam zu ihr zurück. Äußerst behutsam schnitt er mit einem goldenen Messerchen die Seidenstreifen durch. »So, nun lass mich nach deinen Füßen sehen.« Sie wehrte sich nicht, als er ebenso sanft eine ihrer Fußfesseln umfasste, und sie zog auch die Zehen an, damit er sich den Schaden besser ansehen konnte.
»Ach, das haben wir gleich.« Wiederum gab er einem in einer Ecke wartenden Tempeldiener einen Befehl, und der holte ein kleines Tonfläschchen, entkorkte es und reichte es mitsamt einem Tuch seinem Herrn. Tlepau Aq goss eine trübe Flüssigkeit auf das Tuch und betupfte ihre Fußsohlen. »Das ist Axotzungensud. Darunter wirst du dir schwerlich etwas vorstellen können. Seine Heilwirkung ist unübertroffen; du wirst gleich wieder laufen
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