Feuer der Götter: Roman (German Edition)
sie näselnd ein. Wenn sie die Sache schon nicht aufhalten konnte, wollte sie wenigstens Zeit gewinnen.
»Da hast du recht, meine Tochter.« Er setzte einen Fuß auf die Brücke und bedeutete ihr, ihm zu folgen. »Aber mir ist nicht wohl dabei, einen Feuerdämon länger als nötig am Leben zu lassen. Es ist eine gefährliche Kreatur. Und nun Schluss mit solchen Gedanken. Atme tief ein!«
Der … Feuerdämon? Ihn sollte sie opfern?
Die Brücke überspannte den Fluss bis zur Mitte und endete im Nichts. Legenden rankten sich um ihr verlorenes Ende. Eine von ihnen besagte, dass der Gott-Eine vor langer Zeit einen glühenden Brocken auf sie geworfen hatte, weil er die Feindschaft zwischen den Stadtmenschen und dem Waldvolk leid war. Sie war unter einem opfernden Priester weggebrochen, erzählte eine andere. Vielleicht fand sich ja die Antwort im Buch der Aqs.
Ihre Mutter hatte Naave das Lesen beigebracht. Noch ein Beweis ihrer Herkunft, wie ihr jetzt auffiel – sie kannte niemanden, der des Lesens mächtig war. Schriftzeichen zu entziffern war für einen Bewohner des Grabens für gewöhnlich nutzlos. Es war ihr nie als etwas Besonderes vorgekommen.
Wahrhaftig, was sie für einen Menschen gehalten hatte, war der Dämon. Sie hatte ihn nicht gleich erkannt, da das Feuerzeichen in seinem Gesicht so blass war, dass man es kaum sah. Er lag ausgestreckt auf einer Decke aus Vogelfedern, die nur die bronzenen Füße der Trage sichtbar ließ. Ein sauberer Schurz lag um seine Hüften. Die Oberarmbänder aus schwarzer Lava und blaugrünem Tecminc trug er noch; die Goldreife hingegen hatte man ihm abgenommen. Seine Glieder und die schmale Mitte waren mit Federn- und Blütenketten umwunden. Nur der Oberkörper war frei. Nichts sollte den Dolch auf seinem Weg ins Herz stören.
Auch unter der Nase des Dämons war ein Schwamm befestigt. Schimmernder Saft klebte auf seinen Wangen. Seine Augen waren geschlossen. Er sah menschlich aus. Verletzlich. Und dennoch gefährlich.
»Er ist nicht gefesselt!«, schrie sie gegen das Rauschen des Flusses an.
»Das macht nichts. Er atmet das Öl der goldenen Sonnenpalme. Sein Schwämmchen ist so gut getränkt, dass es eine Lähmung des Körpers und des Geistes bewirkt. Er kann nichts tun; wahrscheinlich ist er sogar immer noch bewusstlos. So wird er auch keine Schmerzen spüren.«
Tlepau Aq winkte den Novizen heran und ließ sich den Ritualdolch geben. Dann streckte er die Hand nach ihr aus.
»Komm! Sieh nicht nach unten.«
Die Brücke war schmal. Weder Brüstung noch Seil gaben Sicherheit. Naave fragte sich, ob er das wirklich ernst meinte. Natürlich. Ich sehe es doch jedes Jahr von unten. Sie atmete tief durch, ergriff die dargebotene Hand und machte einen mutigen Schritt hinaus. Dass die Brücke nicht vollends zusammenbrach, lag wohl an dem Manoqbaum dicht an der Tempelmauer, dessen Krone um den Brückenanfang herumgewachsen war.
Naave ließ sich an die Seite der Trage führen. »Hier«, Tlepau Aq drückte ihr den Dolch in die Hand. »Tu es schnell und tu es mit aller Kraft. Eine Klinge in ein Herz zu stoßen klingt leichter, als es ist.«
Der Duft des Nussöls war durch ihren Schrei tief in ihre Lungen eingedrungen. Das Rauschen des Großen Beschützers war zu dumpfem Dröhnen geworden, das ihren ganzen Körper erfasste. Gischt netzte ihre bloßen Füße. Oder war es der Wind, der die Nässe herauftrug und an ihren Haaren und ihrem Kleid zerrte? Sechs oder sieben Speerlängen unter ihr donnerte das Wasser dahin und brandete gegen die Tempelmauern, viel schneller als weiter oben in ihrem kleinen Jagdgebiet. Der Große Wald am anderen Ufer schien mit seinen dunkelgrünen Fingern nach ihr greifen zu wollen. Auf dem Platz vor dem Tempel hatten sich ein paar Menschen versammelt und deuteten herauf.
Alles verschwamm zu tanzenden Farbflecken; die Geräusche verschmolzen zu tosendem Rauschen. Alle Gedanken verflochten sich zu einem einzigen.
Stoß zu.
Sie wehrte sich nicht länger dagegen. Warum auch, wenn das Opfer ein Feuerdämon war? Er verdiente den Tod!
Mit beiden Händen umschloss sie den Dolchgriff, wollte ihn hochreißen. Da warf sich der Dämon gegen sie. Sie stieß zu; die Klinge durchschnitt nur die Luft. Ihr Schrei, als sie mit ihm in die Tiefe fiel, ging im Getöse des Flusses unter. Über ihr verklang der Entsetzensschrei ihres Vaters. Sie sah die Umrisse seines Kopfes, dunkel gegen den grellen blauen Himmel.
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Grünliche Schwärze umschloss ihn. Und Kälte, die
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