Feuer der Götter: Roman (German Edition)
Antworten finden. Dort wäre er nur ein Flüchtiger bis ans Ende eines erbärmlichen Lebens.
Genauso gut könnte ich nordwärts wandern, zu den fernen Bergen, hinein ins Kalte Land.
Ein schmatzendes Geräusch unter ihm erregte seine Aufmerksamkeit. Etwas wölbte sich unter dem feuchten Boden, ließ die Farnbüschel erzittern und Mücken wirbeln.
Es raste auf die Frau zu.
Sie war ahnungslos. Sie hatte den Kopf schräg gelegt, versuchte offenbar, herauszufinden, von wo das Rauschen des Flusses kam. Auch Royia bemerkte sie nicht, als er von Baum zu Baum sprang und mit einem Satz auf sie zustürzte. Er packte sie um die Mitte und sprang wieder hoch. Im gleichen Augenblick schoss eine Ratatoq dorthin, wo sie gestanden hatte.
Die junge Frau strampelte in seinen Armen. Ihr gellender Schrei hallte schmerzhaft in seinem Ohr.
»Was war das? O ihr Götter, was war das?«
Royia trug sie von Ast zu Ast. Unter sich fand er eine Smaragdschale; eine riesige Pflanze, deren grünglänzende Blätter sich flach auf dem Boden ausbreiteten. Auf einem solchen Blatt, groß wie ein Mann, ließ er seine unfreiwillige Last nieder. Sie starrte ihn an. Ihre vom kalten Wasser noch bleichen Lippen öffneten sich erneut zu einem Schrei.
»Fass mich nicht an, Dämon!« Sie stieß sich von ihm. Ihr nackter Fuß versetzte ihm einen harmlosen Tritt gegen das Knie. Sie hörte ein Geräusch, fuhr herum und entdeckte die Ratatoq. Die Schlange war herangekrochen – ihr armdicker Leib war von glänzenden schwarzen Schuppen bedeckt. Das Reptil hatte sich halb aufgerichtet und fächerte eine Halskrause auf, von deren Spitzen schwarzes Gift troff. Auch die Fangzähne waren kein schöner Anblick.
»Keine Angst, näher kommt sie nicht«, sagte Royia. »Sie meidet diese Pflanze. Zumindest gehe ich davon aus, dass sie sich genauso verhält wie ihre Artgenossen im Lichtwald.«
Die Frau setzte sich auf und schlang die Arme um sich. Sie starrte die Schlange an, als könne sie nicht glauben, was sie sah. »Im – im Lichtwald?«, stotterte sie.
»Das hier ist der Unterwald …«
»Es klingt wie Unterwelt.«
»Nicht von ungefähr.« Er deutete hinauf. »Dann kommt der Mittelwald, und oben, wo sich die Kronen vereinen, ist der Lichtwald. Wenn du still bist, wird die Ratatoq verschwinden.«
Sie hielt die Beine umklammert. Der Dolch lag vergessen neben ihr. Ihr ganzer Körper zitterte. »Das ist zu viel für einen Tag. Erst du, dann der Hohe Priester … und jetzt das. Passiert das alles wirklich?«
Die Frage galt offenbar nicht ihm, sondern Iq-Iq. Nun, er konnte es ohnehin nicht beantworten. Er wandte sich dem Stamm hinter sich zu, um endlich zu verschwinden.
Es sind nur ein paar Schritte zum Fluss, wo der auch sein mag. Aber sie wird es nicht schaffen.
Seine Lippen wurden zu schmalen Strichen. Und wenn schon! Sie war eine Städterin. Sie war eine Städterin und wollte ihn tot sehen.
Die Göttin der Unterwelt soll mich holen, wenn ich mich umdrehe und ihr helfe! Verdammt!
Er knurrte in sich hinein und konnte doch nicht verhindern, dass er kehrtmachte. An der Seite der jungen Frau ging er in die Knie und berührte ihre Schulter. Er machte einen Handel mit sich: Sollte sie ihn jetzt nicht anfauchen oder den Dolch gegen ihn erheben, so verdiente sie, dass er ihr half. Auch wenn er sich sagte, dass sie es trotzdem nicht verdiente.
Sie tat nichts.
»Wie heißt du?« Behutsam berührte er ihr anguabraunes Haar, das ihren Rücken und ihre Arme wie ein fransiges Tuch bedeckte. So voll und dicht, dass es angenehm war, es anzufassen. Das Gesicht hatte sie zwischen den Knien vergraben.
Er wartete darauf, dass sie schrie, es ginge ihn nichts an. Nein, er hoffte es. Dann könnte er sich endlich wieder seinen eigenen Angelegenheiten widmen.
»N-naave«, schniefte sie.
»Naave«, wiederholte er. »Was ist eigentlich geschehen? Erst wolltest du mich lediglich in den Tempel bringen, aber dann …«
»Das weiß ich doch auch nicht!«, heulte sie, den Kopf hochwerfend. »Es ging alles so schnell. Der Hohe Priester hat sich als mein Vater herausgestellt, und ich sollte dich opfern, um … um … also, das habe ich auch nicht ganz begriffen.«
Sie wischte sich über die Augen. Ihre Wangen waren gerötet. Die dunklen Haare, noch feucht vom Flusswasser, klebten ihr auf den Wangen. Royias Hand zuckte, wollte die Strähnen beiseiteschieben. Er beherrschte sich.
»Die Priester dort, sind es Toxinacen?«
Sie zog die Nase hoch. »Was sind Toxinacen?«
»Die
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