Feuer der Leidenschaft
auf den Lunch hatte verzichten müssen, und so tat er jetzt ein großes Stück Kandiszucker in seinen Tee und nahm auf dem zweiten Stuhl an der anderen Seite des Tisches Platz.
Es herrschte eine Weile lang Stille, während sie sich den ausgezeichneten Rosinenkuchen munden ließen. Als Rebecca sich über den Tisch beugte, um seine Tasse mit Tee nachzufüllen, sagte er: »Ich vermute, daß Ihr die Leinwand für Eure Bilder selbst auf die Rahmen spannt?«
Sie brach ein Stück von ihrem Kuchen ab, das sie nun dem Kater hinhielt, der es mit seinen Zähnen behutsam von ihren Fingerspitzen nahm. »Ja, und auch die Leinwand für die meisten Bilder meines Vaters. Ich fertige auch unsere Pastellkreide an und mische eine Reihe von Ölfarben an, die ein Farbenhändler normalerweise nicht herstellt oder auf Lager hat.«
Er blickte sie verwundert an. »Sicherlich könnte Sir Anthony doch jemand anderen für solche handwerklichen Aufgaben finden, nicht wahr?«
»Ja, aber würde dieser Mann diese Arbeiten auch so gewissenhaft erledigen, wie wir uns das wünschen? Obwohl das Malen als Kunst bezeichnet wird, war es doch zu allererst ein Handwerk. Je besser man die Materialien versteht, um so wirksamer kann man sie verwenden.« Sie strich mit der Hand zärtlich über ihren Mörser hin. »Es hat etwas wunderbar Befriedigendes, wenn man die Pigmente und die anderen Zugaben so vermischen kann, daß sie die ideale Konsistenz und genau den erforderlichen Farbton haben. Das ist der erste Schritt, den wir auf dem Weg zu der Erschaffung eines Bildes machen müssen, wenn es die Vorstellung, die wir davon in uns tragen, auch so exakt und erfolgreich widergeben soll, wie das technisch machbar ist.«
Die Sinnlichkeit, die auf dem Porträt ihrer Mutter so deutlich zu erkennen war, zeigte sich nun auch auf Rebeccas verträumten Gesicht. Kenneth wünschte sich, daß sie ihn auf die gleiche Weise berührte wie ihren Mörser. Er wünschte sich, daß sie ihn …
Er sah zur Seite, wobei er den Satz in Gedanken un-beendet ließ. »Wann habt Ihr denn mit dem Zeichnen begonnen?«
Sie sah nun ein wenig wie ein schuldbewußtes kleines Mädchen aus. »Nach der Familiensage soll ich eines Tages im Kinderzimmer ein weichgekochtes Ei zerbrochen und mit dem Dotter eine erkennbare Katze an die Wand gemalt haben.«
Er lächelte, als er sich diese Szene vorstellte. »Also seid Ihr schon immer eine Künstlerin gewesen. Vermutlich hat Euch Sir Anthony dann auch Unterricht im Malen gegeben.«
»Nicht eigentlich. Vater war immer so sehr beschäftigt.
Wenn ich meiner Kinderschwester entwischen konnte, schlich ich mich in sein Atelier und beobachtete ihn bei der Arbeit. Er hatte nichts dagegen, solange ich ihm nicht im Wege war. Bald hatte ich dann meine eigenen Kreide- und Kohlestifte.« Sie kicherte. »Mutter achtete darauf, daß ich immer mit Papier versorgt war, damit ich nicht wieder irgendwelche Wände im Haus
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oder der Nachbarschaft ruinierte. Und wenn sie Zeit hatte, gab sie mir manchmal auch Zeichenunterricht.«
»Hatte Eure Mutter denn auch künstlerische Fertigkeiten, die über das üblicherweise von einer Lady erwartete Maß hinausgingen?«
Rebecca deutete auf ein kleines Aquarell, das in einer Ecke ihres Ateliers hing. »Sie hat das dort gemalt, als ich vier Jahre alt war.«
Das Bild zeigte Rebecca als glückliches, lachendes Kind, dessen Babylocken wie Kupfer schimmerten. Ein Kind, das offen und erwartungsvoll in die Welt blickte -während Rebecca nun als Frau stets wachsam und auf der Hut vor irgendwelchen Gefahren war, die hinter jeder Ecke lauern konnten. Er fragte sich, ob dieses verhängnisvolle Abenteuer mit diesem jungen angehenden Poeten, das ihren Ruf ruiniert hatte, daran schuld war, daß sie diese Offenheit verloren hatte. »Es ist ein süperbes Bild. Wenn man zwei Künstler zu Eltern hat, ist es wahrlich kein Wunder, daß Ihr ein so großes Talent besitzt.«
Rebecca schüttelte den Kopf. »Mutter hatte Talent -ihre Aquarelle sind ausgezeichnet -, aber sie war nicht eigentlich eine Künstlerin. Ihre Heirat hat das wohl verhindert, denke ich.«
»Was gehört denn dazu, um ein echter Künstler zu sein?«
erkundigte er sich neugierig.
»Egoismus«, erwiderte Rebecca mit einem Lächeln, mit dem sie sich selbst zu verspotten schien. »Man muß glauben, daß das eigene Werk die bedeutendste Sache der Welt ist. Das größte Talent kann verkümmern, wenn es andere Menschen und deren Wünsche und Bedürfnisse wichtiger nimmt als sich
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