Feuer der Leidenschaft
eine schwärende Wunde aufsticht, um das Gift abfließen zu lassen. Das hatte sich stets bewährt - ob es sich nun um den Verlust eines Schoßtieres handelte oder um eine Sache, die einem das Herz brach. Nur in diesem Fall hat mir das Zeichnen nicht geholfen.«
»Ihr zeichnet das, was Euch belastet?« erkundigte er sich neugierig. »Ich male — äh — meine, es würde doch eher einen Sinn machen, dem Kummer dadurch zu entrinnen, daß man etwas anderes zeichnet!«
Sie lächelte humorlos. »Das habe ich ebenfalls probiert.«
Schließlich hatte das Zeichnen und Malen ihr Leben ausgemacht. Und es war ein sie gänzlich ausfüllendes Leben gewesen, das sie zudem reich beschenkt hatte. Aber die Kunst war nicht alles. Jedenfalls genügte sie ihr diesmal nicht.
»Wenn das Lanzieren einer Wunde nicht genügt, hilft vielleicht das Ausbrennen«, sagte Kenneth, nahm ihr den Skizzenblock aus der Hand und riß die Seite mit der Skizze ihrer Mutter heraus. Dann hielt er eine Ecke davon an die Kerzenflamme. »Nach allem, was ich bisher über Lady Seaton gehört habe, hätte sie ganz bestimmt nicht gewollt, daß Ihr Euch ihretwegen vor Kummer verzehrt. Also laßt sie nun in Frieden ruhen.«
Mit wehem Herzen sah Rebecca zu, wie die Skizze nun zu brennen anfing. Rauch ringelte sich an die Decke und löste sich dann in Dunkelheit auf. Sie war ihm zwar dankbar für sein Bemühen, ihr zu helfen, aber er verstand sie nicht.
Nicht wirklich. Weil er stark war, wußte er auch nicht, daß ein Kummer so groß sein konnte, daß er Geist und Seele lahmte. Er konnte nicht wissen, daß sie nie mehr aufhören würde, zu weinen, bis sie tot war, wenn sie ihren Tränen freien Lauf ließ.
Er warf die brennenden Reste der Skizze in den Kamin, ehe sie ihm die Finger versengen konnten, und sie sahen nun beide schweigend zu, bis das Papier zu Asche verbrannt war. Dann sagte er: »Diese Besessenheit, mit der Ihr vorhin gearbeitet habt, muß Euch viel Kraft gekostet haben. Deshalb’ solltet Ihr mich j etzt auf meinem Raubzug durch die Küche begleiten und etwas essen.«
Er lächelte, und es wurde ihr jetzt wieder leichter ums Herz.
Er mochte zwar das Ausmaß ihres Kummers nicht ganz verstehen, aber er hatte ja selbst im Krieg viel Leid erlebt.
Er war ein Mann voller Mitgefühl und ein guter Kamerad.
Sie erwiderte sein Lächeln. »Ihr habt recht. Ich hatte bei der Arbeit vorhin ganz vergessen, wie hungrig ich eigentlich bin.«
Als sie nun die Kerze aufnahm und sich mit ihr zur Tür bewegte, dachte sie wieder daran, was sie in dem Augenblick empfunden hatte, als sie sich geküßt hatten.
Obwohl das ein Fehler gewesen war, hatte sie sich seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr so lebendig gefühlt wie in diesen Augenblick. Vielleicht gab es tatsächlich noch ein Leben jenseits von Kummer und Leid.
Und wer hätte wohl gedacht, daß erst ein Pirat ins Haus kommen mußte, um ihr einen Ausweg aus ihrem Kummer zu zeigen?
Kenneth tat sein Möglichstes, um Rebecca bei ihrem Mitternachtsmahl wieder aufzumuntern. Als sie sich danach in ihre jeweiligen Schlafzimmer zurückzogen, hatten ihre Augen wieder ein bißchen von ihrem früheren Glanz zurückgewonnen.
Bedauerlicherweise konnte er ihre wieder ein wenig auflebende gute Laune nicht teilen. Ihre Version vom Tod ihrer Mutter hatte ihn davon überzeugt, daß sie ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt, sondern ein wesentliches Detail unterdrückt hatte. Auch hatte sie viel zu rasch und energisch die Möglichkeit zurückgewiesen, daß ihr Tod etwas anderes gewesen sein konnte als ein
zwar tragischer, aber nur durch eigene Nachlässigkeit verschuldeter Unfall. Vielleicht war ihr Kummer mit einer so grauenhaften Angst vermischt, daß sie dieser nicht ins Auge zu schauen wagte — eine Angst, die ihren Vater betraf.
Es gab auch noch andere Gründe für ihre Ruhelosigkeit. Der Schock, als er ihr einen Kuß gab, gehörte dazu. Offenbar hatte sein primitives männliches Selbst nur einen halbwegs schicklichen Vorwand gesucht, um einem Verlangen nachzugeben, das sich bereits in ihm regte, als er sie zum erstenmal sah. Eine flüchtige Umarmung hatte genügt, alle seine Vermutungen zu bestätigen, die Rebeccas latente Sinnlichkeit betrafen. Das Feuer, das sie zu einer Künstlerin machte, konnte sich jederzeit in eine wilde Leidenschaft verwandeln.
Unter gewöhnlichen Umständen würde er es nicht bei einem kurzen Kuß belassen haben. Aber es waren eben keine gewöhnlichen Umstände, die ihn in dieses Haus gebracht
Weitere Kostenlose Bücher