Feuer der Leidenschaft
machen und ihn in so etwas wie eine wilde asiatische Raubkatze verwandeln.
Genau die richtige Art von einem barbarischen Schoßtier, die man bei einem Häuptling der Piraten erwartet.«
Sie neigte nun den Kopf und ließ ihren Kohlestift über das Papier hinfliegen. Ja, so würde man es machen können. Das sah sogar gut aus.
Die darauffolgende Stille wurde nun nur noch von dem Kratzen des Stifts auf dem Papier und den schwachen, fernen Geräuschen der schlafenden City durchbrochen. Sie hatte gerade die Hauptfiguren gezeichnet und skizzierte nun den Hintergrund, als Kenneth im nachdenklichen Ton sagte:
»Ob es mir wohl jemals erlaubt würde, auch einen Happen zu essen?«
Da blickte sie erschrocken zur Uhr hin und sah, daß es bereits nach ein Uhr morgens war. »Oh, es tut mir leid, ich hatte gar nicht gewußt, wie spät es bereits ist! Ich fürchte, ich habe mich zu sehr von meiner Arbeit in Beschlag nehmen lassen.«
»Eine Untertreibung. Wenn ein feuerspeiender Drache durch den Kamin gefahren wäre, würdet Ihr das nicht bemerkt haben.« Er stand auf und rollte seine Schultern, um diese zu lockern.
Sie sah, wie sich der Stoff seines Hemdes über seinen Muskeln spannte und machte sich im Kopf eine Notiz, wie sie das als Gestaltungsmittel seiner körperlichen Kraft auf dem Gemälde verwenden konnte. Dann legte sie den Zeichenblock beiseite und stand auf. »Ihr werdet einen großartigen Korsaren abgeben, Captain.«
»Wenn Ihr meint.« Er nahm ihren Zeichenblock hoch und studierte mit gerunzelten Brauen ihr Werk. »Sehe ich wirklich so bedrohlich und furchtgebietend aus?«
»Manchmal. Es ist kein Zufall, daß das Personal auf einmal so ordentlich arbeitet.« Sie gähnte, sich plötzlich müde fühlend. »Die Leute haben Angst, Ihr könntet sie als Sklaven an einen barbarischen Wüstenstamm verkaufen.«
Er begann nun, sich auch ihre früheren Skizzen von ihm anzuschauen. »Ihr habt Euch da ja eine Menge möglicher Kompositionen einfallen lassen«, murmelte er. Dann hielt er bei einer Skizze an, auf der sie ihn als einen erschöpften Soldaten in schäbiger Uniform dargestellt hatte, der mit müden, entzündeten Augen über eine
karge spanische Landschaft hinblickte. »Seid Ihr sicher, daß Ihr auch keine Hellseherin seid?«
»Es ist nur die Einbildungskraft einer Malerin.« Sie studierte nun nachdenklich die Skizze. »Ist das Licht in Spanien wirklich so hart?«
»Es ist von einer grellen Klarheit, wie man sie in England nicht kennt. Wir befinden uns hier ja viel weiter oben im Norden, und die feuchte Luft macht das Licht weicher, fast dunstig.« Er blätterte abermals in ihren Skizzen.
Zufrieden mit den Fortschritten, die sie in den letzten Stunden gemacht hatte, nahm sie einen frischen Kohlestift und steckte ihn in einen Halter. Dann wurde sie plötzlich auf die Stille aufmerksam, die im Zimmer herrschte, und blickte zu dem Captain hoch, der wieder eine ihrer Skizzen anstarrte.
Als er ihren Blick auf sich ruhen spürte, drehte er den Skizzenblock ihr zu, damit sie die Zeichnung von einer Frau im freien Fall sehen konnte, deren Gesichtsausdruck ein lautloser Schrei des Entsetzens war. »Was ist das?« fragte er.
Der Kohlestift zerbarst ihr zwischen den Fingern, als ihr Hochgefühl sich plötzlich in Trauer verwandelte. Sie hatte ganz vergessen, daß diese Skizze sich ebenfalls in diesem Zeichenblock befand.
»Es … es ist eine Studie von Dido, die sich von einem Turm in Karthago stürzt, nachdem Äneas sie verlassen hatte«, improvisierte sie mit trockenem Mund.
»Dido in einem modernen Kleid?« erwiderte er im skep-tischen Ton. »Ich finde auch den Wechsel des Sujets überraschend. In all Euren anderen klassischen Studien huldigt Ihr stets heroischen Frauen, aber keiner, die sich aus verschmähter Liebe selbst umbringt. Zudem soll Dido sich ja mit einem Schwert umgebracht haben.«
Sie starrte ihn jetzt stumm an, da ihr keine weiteren Lügen mehr einfallen wollten. Da sagte er mit leiser Stimme: »Die Frau sieht Eurer Mutter auf dem Porträt sehr ähnlich, das unten im Arbeitszimmer hängt. Ist Lady Seaton bei einem Sturz ums Leben gekommen?«
Mit wild pochendem Herzen, als hätte man sie bei einem Diebstahl ertappt, ließ Rebecca sich wieder auf ihren Stuhl hinunterfallen. »Ja, und seither beschäftigen mich unablässig solche Bilder, die Menschen im Sturz zeigen«, sagte sie mit stockender Stimme. »Ich glaube, ich habe mindestens fünfzig von solchen Skizzen angefertigt. Ich fragte mich ständig,
Weitere Kostenlose Bücher