Feuer der Leidenschaft
und ihm seinen Posten hier verschafft hatten.
Sein körperliches Verlangen war von einem ebenso großen mentalen Aufruhr begleitet. Er war von Rebeccas Bemerkung fasziniert gewesen, daß sie Bilder von den Dingen zeichnete, die sie belasteten. Das war das genaue Gegenteil von seiner Gewohnheit, das Zeichnen als Flucht vor unangenehmen Dingen zu benützen. Er hatte sein ganzes Leben lang ein fast zwanghaftes Bedürfnis zum Zeichnen gehabt, selbst wenn er das im Geheimen machen mußte, damit sein Vater nichts davon bemerkte. Sogar noch dann, als ihm bereits klar geworden war, daß er nie ein echter Künstler sein würde. Wenn er sich unglücklich fühlte, war das Zeichnen für ihn eine Möglichkeit, einen Schutz-wall zwischen sich und dem für ihn Unerträglichen aufzurichten.
Er holte nun seinen Zeichenblock wieder aus dem Kleiderschrank und starrte ihn an, als wären die Blätter darin eine tickende Zeitbombe. Was würde passieren, wenn er es wagte, einige von den Bildern zu zeichnen, die ihn fast um seinen Verstand gebracht hatten? Ein Teil von ihm fürchtete, daß er damit die Büchse der Pandora öffnen und Qualen freisetzen würde, deren er nie mehr Herr werden konnte.
Doch ihre Worte wollten ihm jetzt keine Ruhe mehr lassen: So wie man eine schwärende Wunde aufsticht, um das Gift abfließen zu lassen. Vielleicht war die Flucht nicht die beste Medizin gegen das Leid. Wenn er den Mut besaß, seinen privaten Dämonen ins Gesicht zu schauen, mochten sie vielleicht etwas von ihrer Macht verlieren, ihn zu verwunden.
Aber um diese Bilder gut zeichnen zu können, würde er sich auch den Schmerzen stellen müssen, die mit ihnen verbunden waren. Er würde die geistige Mauer nie-derreißen müssen, die es ihm ermöglicht hatte, weiter-zuleben. Sich innerlich stählend, griff er nun abermals nach Feder und Tusche. Er würde mit einem Bild beginnen, das sich ihm in seiner ersten Schlacht unauslöschlich ins Gehirn eingebrannt hatte. Wenn die Zeichnung ihm half, die Schmerzen zu lindern, die ihm damals der Anblick jener Szene bereitet hatte und die jetzt bei der Erinnerung daran wieder in ihm aufleben mußten, würde er sich auch an die Darstellung komplizierterer Szenen heranwagen.
Er öffnete seinen Geist wieder dem Schock, den er damals erlitt, als er das, was er nun auf dem Papier festhalten wollte, erlebte. Und diesen Qualen, mit denen ihn dieses Bild in seinen Alpträumen peinigte.
Er tauchte seine Feder in das mit Tusche gefüllte Glas und betete zu Gott, daß Rebeccas Methode sich auch bei ihm bewähren möge.
Kapitel 10
ALS Kenneth am nächsten Tag in seinem Büro arbeitete, betrat Lavinia Claxton den Raum — ein goldhaariges Bild in blauer Seide und einer feschen, mit Federn geschmückten Haube. »Guten Tag, Captain«, sagte sie mit tiefer, gurrender Stimme. »Ich habe beschlossen, Euch einmal in Eurem geheimnisvollen Bau zu besuchen.«
Er blickte von seinem Schreibtisch hoch, und sein Puls beschleunigte sich. Obwohl Lavinia ein häufiger Gast in Seaton House war, war es doch das erste Mal, daß sich ihm die Chance bot, sie zu dem Tod von Lady Seaton zu befragen. Er sagte im beiläufigen Ton: »Es ist nichts Geheimnisvolles an meiner Arbeit und diesem Zimmer, Lady Claxton.«
Sie lächelte mit der Zuversicht einer Frau, die die Macht ihrer Schönheit kannte. »Dann muß das Geheimnisvolle in dieser Höhle Eure Person sein, Captain. Ihr gehört nicht hierher. Ihr seid wie ein Tiger unter Läm-mern. Ihr solltet Armeen anführen oder die wildesten Winkel der Erde erforschen, statt hier am Tisch zu sitzen und Briefe zu schreiben.«
Er lächelte ein wenig. »Selbst Tiger müssen sich ihren Lebensunterhalt verdienen. Die einen jagen Wild und die anderen nehmen eben Diktate auf.«
»Wie prosaisch.« Sie durchquerte das Zimmer, sich herausfordernd in den Hüften wiegend. »Ich ziehe es vor, mir Euch als einen heroischen Krieger vorzustellen, der sich nach den Gewalttaten der Schlachten den Boudoirs der Kunst zugewandt hat.«
»Boudoirs?« Er schob seinen Stuhl vom Schreibtisch weg. »Ihr besitzt eine lebhafte Einbildungskraft, Myla-dy.
Die meisten würden das hier nur für ein Büro halten.«
»Nennt mich Lavinia. Jeder tut das.« Sie setzte sich auf den Rand seines Schreibtischs, daß ihre Röcke seine Knie streiften. Dann streckte sie die Hand aus und streichelte seine Wange. »Ihr könnt mich jederzeit besuchen.«
Obwohl sie ihn jedesmal, seit sie sich zum erstenmal im Atelier von Sir Anthony begegnet
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