Feuer der Leidenschaft
mich dort vermutlich die Treppe hinunterwerfen. Aber das ficht mich nicht an. Almack’s ist ein schrecklich langweiliger Laden.« Sie verzehrte mit großem Appetit ihr Ei. »Ich konnte den schlechten Ruf, den ich meiner Vergangenheit wegen genoß, überwinden, weil ich schön und amüsant war und eine gute Partie gemacht habe.«
»Ich bin weder schön noch amüsant und habe kein Verlangen danach, jemanden zu heiraten«, erklärte Rebecca düster. »Also wird man mir meinen Sündenfall von damals nie mehr verzeihen.«
»Ah, aber Ihr seid Sir Anthonys Tochter und besitzt ein seltenes Talent. Das wird genügen, besonders dann, wenn Ihr Eure Arbeiten bei der Akademie einreicht. Guten Künstlern sieht man solche kleinen Verstöße gegen die Schicklichkeit gerne nach.«
Rebecca sah sie mißtrauisch an: »Habt Ihr und Ken-neth etwa hinter meinem Rücken über mich gesprochen? Ihr redet schon genauso wie er.«
Lavinia lachte. »Nein, wir beide haben uns nie über Euch unterhalten. Es ist nur ein simpler Fall von zwei großen Geistern, die zu dem gleichen Schluß kommen. Wenn Ihr in der Akademie ausstellt, werdet Ihr über Nacht zu einer Berühmtheit. Der Prinzregent wird Euch nach Carlton House einladen. Man kann über Prinny sagen, was man will, aber für die Kunst hat dieser Mann ein Herz.«
»Ihr werdet mich nicht dazu überreden können, in der Akademie auszustellen. Ganz im Gegenteil.« Da fiel ihr noch etwas ein: »Ich habe ja auch gar nichts, was ich zu dieser Gelegenheit anziehen könnte. Ich weiß nicht einmal, was für ein Stil gerade in Mode ist. Also werde ich dem Herzog absagen müssen.« Rebecca legte die Einladung erleichtert beiseite.«
»Ihr werdet nichts dergleichen tun«, sagte Lavinia im bestimmten Ton. »Drei Tage sind zwar schwierig, aber nicht unmöglich. Tatsächlich …«, Lavinia zögerte. »Ich habe da eine Idee. Ob sie Euch nun behagt oder nicht -die Chancen stehen sich ungefähr gleich.«
Als Rebecca sie fragend ansah, fuhr Lavinia fort: »Ihr könntet eines von den Kleidern Eurer Mutter ändern lassen. Heien hatte einen wunderbaren Geschmack. Und da Ihr die gleiche Augen- und Haarfarbe habt wie sie, müßten Euch auch ihre Sachen genauso gut stehen …«
Ihre Stimme verebbte. »Es sei denn, daß es Euch widerstrebt, etwas zu tragen, was Eurer Mutter gehört hat.«
Rebeccas erste Reaktion war, Lavinias Vorschlag leidenschaftlich zurückzuweisen. Aber als sie einen Moment lang unentschlossen dasaß, nützte Lavinia diese Gelegenheit dazu, mit leiser Stimme hinzuzusetzen: »Es wäre doch keine üble Sache, wenn der Gedanke an Heien wieder ein Teil Eures Lebens und nicht mehr eine schwärende Wunde wäre, an die nicht gerührt werden darf.«
Rebecca biß sich auf die Lippen, erstaunt über das Einfühlungsvermögen dieser Frau. Sie versuchte jetzt, über Lavinias Vorschlag ernsthaft nachzudenken und sich darüber klar zu werden, was sie dabei empfand. Und da erkannte sie, daß der Gedanke daran, ein Kleid ihrer Mutter zu tragen, etwas Tröstliches für sie hatte. Daß sie das Gefühl haben würde, als würde ihre Mutter ihr auf dem Ball schützend und behütend zur Seite stehen. »Ich
… ich glaube, Euer Vorschlag könnte mir gefallen. Sollen wir uns ihre Sachen mal anschauen? Sie liegen in Koffern verpackt oben auf dem Speicher.« Sie erhob sich vom Tisch. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich mich elegant anziehen könnte. Ich werde da Eure Hilfe brauchen.«
»Wenn Ihr mich schon fragt«, sagte Lavinia listig, trank ihren Tee aus und erhob sich nun ebenfalls vom Tisch,
»dann dürft Ihr nicht den Fehler machen, in den Spiegel zu schauen und Euch zu sagen, ich bin diese schüchterne Miss Seaton, die nicht weiß, wie sie sich vorteilhaft anziehen muß. Ihr müßt vielmehr an Eure Erscheinung genauso herangehen wie an Eure Porträts. Betrachtet Euch also im Spiegel wie eine Person, die Ihr malen wollt, und überlegt Euch, wie Ihr sie anziehen würdet, damit sie auf Eurem Porträt so reizend und elegant wie möglich aussehen wird.«
Rebecca sah die andere Frau nun mit einem ganz neuen Respekt an. »Lavinia, Ihr seid ein Gottesgeschenk.«
»Heien hatte ein bernsteinfarbenes Kleid aus Seide, das Euch großartig stehen müßte. Wollen mir mal nachsehen, ob wir es finden können?«
Als die beiden Frauen sich nun auf den Speicher hin-aufbegaben, erkannte Rebecca, daß ihre Beziehung zu Lavinia soeben eine Wasserscheide passiert hatte. Sie waren jetzt nicht mehr nur zwei
Weitere Kostenlose Bücher