Feuer der Nacht
der Magen zusammen. Sie war heute nicht bei allen Terminen zugegen gewesen, aber sie hatte öfter vorbeigeschaut und genug gesehen – mehr als genug sogar.
Vorsichtshalber bereitete sich seelisch vor und ging dann in den Empfangssaal, um das von Carrie hinterlassene Chaos aufzuräumen. Auf dem Tisch stapelte sich der Krempel nur so, und sogar auf dem Boden lagen noch jede Menge Stoffmuster herum. Das konnte sie erkennen, obwohl das lange Tischtuch ihr einen Großteil der Sicht versperrte. Selbst wenn Carrie noch da war, gehörte sie nicht zu der Sorte Leute, die ihre Sachen wegräumten.
Sie hatte den Raum kaum betreten, da stieg ihr ein unguter Geruch in die Nase. Sie hielt inne, hob den Kopf und zog die Nase kraus, als sie eingehender schnüffelte. Ach je. Es roch, als wäre die Toilette übergelaufen. Die Toiletten lagen jedoch am Ende des Ganges, und sie hatte nichts bemerkt, als sie an ihnen vorbeigegangen war. Je weiter sie in den Empfangssaal hineinging, desto schlimmer wurde der Gestank. Ob das Abwasserrohr geborsten war?
Sie verlangsamte den Schritt und hielt sich mit der Hand die Nase zu. Ihr Herz raste. Da stimmte etwas nicht. Und zwar absolut nicht. Die Härchen an ihren Armen standen plötzlich ab, während ihr ein Schauer über die Haut rann. Sie ging noch drei Schritte weiter, dann stockte ihr der Atem, dass es sie schier würgte.
Das war nicht ein Haufen Stoff auf dem Boden hinter dem Tisch, das war Carrie Edwards, die sie mit offenen Augen und seltsam leerem Blick durch einen Schleier anstarrte, der über ihr Gesicht drapiert war. Blutpfützen bedeckten den Boden. Kebabspieße – einige noch mit Garnelen und Rindfleisch – ragten in seltsamen Winkeln aus ihrem Körper.
Melissa vernahm einen vagen Aufschrei und wurde sich nach einer Weile bewusst, dass sie selbst das Geräusch verursacht hatte. Sie stand im Ruf, jede Krise selbstsicher zu meistern, aber sie hatte – von Beerdigungen abgesehen – noch nie eine Leiche gesehen, und das hier war etwas anderes als im Fernsehen. Ihre Selbstsicherheit war dahin. Heiliger Himmel! Der Geruch, das geronnene Blut, die absolute Leblosigkeit dieser Frau auf dem Boden waren zu schaurig und zu real.
Der Schrei blieb ihr im Hals stecken, und sie wich einen Schritt nach hinten zurück, die Augen auf die Tote geheftet. Es machte keinen Sinn, ihr den Puls zu fühlen. Sie hatte keinen Zweifel, dass Carrie tot war, mausetot. Und anfassen würde sie sie schon gar nicht.
Okay, okay. Was sollte sie tun? Sie konnte schließlich nicht nur dastehen und die Tote anstarren. Aber sie konnte auch nicht tun, was ihr Bauchgefühl ihr riet, nämlich die Tür absperren, nach Hause gehen und sie einfach liegen lassen, damit jemand anderer sich ihrer annahm. Es war niemand da.
Sie musste jemanden anrufen – 911. Ja genau. Sie sollte den Notruf wählen. Sie machte kehrt und hetzte in ihr Büro, die Managerin in ihr brach sich plötzlich Bahn. Am Wochenende stand ein Event auf dem Programm, ein fünfundzwanzigjähriges Schülertreffen. Diese Sache durfte da auf keinen Fall hineinfunken; die Polizei würde sicherlich bis dahin das Chaos beseitigt haben, und ihr schöner, ordentlicher Empfangssaal würde in allerbester Ordnung erstrahlen. Sicher war sie sich allerdings nicht. Carrie Edwards hatte die Gabe, anderen Leuten das Leben zu versauen.
Und dann drängte sich ihr ein anderer Gedanke auf. Was, wenn sich der Mörder noch im Gebäude aufhielt? Wenn er sie beobachtete, vielleicht hinter der nächsten Ecke lauerte, bewaffnet mit Kebabspießen und Kuchenmessern und Blumengestecken? Melissa strauchelte, schleuderte ihre hochhackigen Pumps von den Füßen und legte an Tempo zu. Sie bog um die Ecke und schlitterte wie Tom Cruise über den Boden in ihr Büro. Dann knallte sie die Tür zu und schloss hinter sich ab. Hektisch schaute sie sich in dem kleinen Zimmer um, denn sie wollte sichergehen, dass sie auch wirklich allein war, bevor sie zum Telefon griff.
8
Die heiße Nachmittagssonne schien Eric direkt in die Augen, als er in der überfüllten Straße nach einem ausreichend großen Parkplatz suchte. Der Parkplatz des Empfangssaals bestand aus einem Wirrwarr von Streifenwagen, einem Krankenwagen und sogar einem Feuerwehrauto, wobei er sich nicht vorstellen konnte, was das Feuerwehrauto hier verloren hatte. Alle hatten das Blaulicht an, was das Chaos optisch noch verstärkte. Nun gut, die Streifenwagen mussten ihr Blaulicht einschalten, aber weshalb um alle Welt stellten die
Weitere Kostenlose Bücher