Feuer der Nacht
peinlich, dass ich mich habe schlagen lassen, ohne zurückzuhauen«, gestand Jaclyn. »Andererseits war ich nie in eine Rauferei verwickelt. Sie hätte mich voll aufmischen können. Und Bishop meinte, sie würde mich verklagen, wenn ich sie schlüge, und deshalb habe ich es dann unterlassen. Ich war juristisch und moralisch im Recht, aber, verdammter Mist, wohl war mir nicht dabei.«
»Du warst klug. Vermutlich hat sie dich in der Hoffnung geschlagen, dass du dich zu etwas hinreißen lässt, wofür sie Premier später verklagen kann. Ich habe schon ein paar Leute ihres Schlags kennengelernt. Sie stellen immer Forderungen, machen ständig Ärger und testen aus, wie weit sie gehen können. Das gibt ihnen vermutlich einen Kick.«
Diese Beschreibung fasste Carries Persönlichkeit recht gut zusammen, dachte Jaclyn. »Jedenfalls konnte ich nur an eines denken: die Selbstständigen da wegzukriegen, bevor sie jemandem von denen auch noch eine knallte. Estefani war wie ein kleiner Vulkan, kurz vor dem Explodieren. Ich sah schon kommen, dass eine Rauferei losbräche, die dann Schlagzeilen machte. Carrie wollte ihr Geld zurück, und ich erinnerte sie daran, dass in ihrem Vertrag stehe, dass Rückerstattungen auf der Basis der geleisteten Arbeit erfolgten. Das passte ihr nicht, aber machen konnte sie nichts. Dann bin ich gegangen. Melissa war in ihrem Büro, sie hat mich also nicht wegfahren sehen. Ein Mann kam angefahren, als ich gerade in mein Auto einstieg, und er hat mich gesehen. Aber ich weiß nicht, wer er war, und deshalb weiß ich auch nicht, wie ich ihn finden soll. Außerdem war er womöglich eh der Mörder.«
Diedra blieb schier die Luft weg. » Du hast den Mörder gesehen?«
» Ich habe einen Mann gesehen. Er könnte sie umgebracht haben.« Weder Eric noch Sergeant Garvey hatten sich sehr beeindruckt von ihrer Geschichte von dem grauhaarigen Mann gezeigt, und wenn Melissa ihn nicht gesehen hatte, bestand keine Möglichkeit zu beweisen, dass er überhaupt da gewesen war. Und schließlich hatte sie ihn auch nicht ins Gebäude hineingehen sehen. Melissa hatte die Vordertür vielleicht schon abgeschlossen, wenn sie an dem Tag keine weiteren Termine mehr hatte. Der Mann könnte zum Vordereingang gegangen sein, die Tür probiert haben und dann wieder abgefahren sein.
»Hat er dich gesehen?«
»Er hatte direkt neben mir geparkt. Ich wüsste nicht, wie er mich übersehen haben sollte.«
Vielleicht schaute sich Diedra ja zu viele Fernsehkrimis an, aber sie riss wieder ihre dunklen Augen auf. »Wenn er der Mörder von Carrie ist«, sagte sie scharf, »dann bist du die Einzige, die ihn identifizieren kann. Er weiß, dass du ihn gesehen hast. Du musst untertauchen!«
14
Untertauchen stand nicht zur Debatte – zumindest nicht diese Woche mit diesem knallvollen Terminkalender. Außerdem war sie sich ziemlich sicher, dass das Polizeipräsidium von Hopewell von ihrem Verschwinden nicht begeistert wäre. Davon abgesehen: Wie sollte dieser Mann, den sie gesehen hatte, überhaupt ahnen, wer sie war? Für ihn war sie doch bloß jemand, der den Saal hatte anschauen wollen, um ihn vielleicht zu buchen. Und er würde sich sowieso nur für sie interessieren, wenn die Annahme stimmte und er Carrie ermordet hatte.
Dennoch war diese Überlegung beunruhigend. Sie nahm Zuflucht bei einem der Schokokekse – Schokolade hatte wirklich etwas Tröstliches. Dann begann sie, ihre Dateien durchzugehen und alle Details herauszusuchen, die sie für die heutige Arbeitsliste brauchte. Etwas in ihr schreckte vor der Idee zurück, Eric anzurufen und ihn um einen Gefallen zu bitten; da wollte sie lieber die Mehrarbeit auf sich nehmen. Diedra half ihr, sie durchkämmte den PC nach wichtigen Einzelheiten, druckte Fotos aus und suchte die Telefonnummern zusammen.
Madelyn und Peach trafen im Abstand von fünf Minuten ein, und jeder Neuankömmling machte es erforderlich, die katastrophale Zusammenkunft gestern noch einmal aufzuwärmen: den Mord an Carrie, die Spekulationen über den Täter – eine lange, vielfältige Liste – und immer wieder die Fragen, die die Polizei gestellt hatte. All das wurde durch Bekundungen von Wut, Sorge und Unterstützung unterbrochen, und all das dauerte seine Zeit. Und wenn sie sich über die Schokokekse hermachten, verstich ebenfalls Zeit, aber was sollte es, sie waren so lecker.
Jaclyn telefonierte in ihrem Büro mit dem Restaurant, in dem am heutigen Abend das Dinner nach der Hochzeitsprobe stattfinden sollte; sie
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