Feuer der Nacht
Flittchen!«
»Wie alt ist sie?«
»Was tut das zur Sache?«, fragte er ausweichend.
»Jünger als ich?«
»Ich habe sie nicht gefragt.«
»Das heißt dann also ja. Ist aber auch egal. Selbst wenn sie ein für dich passendes Alter hätte, würde ich Nein sagen. Du bringst Autos ebenso durch wie Geld. Ich besitze nur einen einzigen Wagen. Und ich brauche ihn.«
»Doch nicht am Abend!«
»Jacky! Die Hälfte meiner Arbeit spielt sich bekanntlich abends ab! Zu dem Zeitpunkt heiraten viele oder feiern ihre Feste, weißt du. Ich arbeite die ganze restliche Woche jeden Abend, und ohne mein Auto klappt das nicht. Aber selbst wenn ich nicht arbeiten würde, dann würde meine Antwort Nein lauten!«
»Nun gut, wenn du das so handhaben willst«, erwiderte er schmollend.
»Ja, genau.«
Sein »Auf Wiedersehen« klang schroff. Jaclyn legte auf. Vermutlich würde sie in den nächsten paar Monaten nichts von ihm hören. Sie war teils erleichtert, teils traurig, aber wirklich aufgebracht. Letzteres war ihre Standardeinstellung ihrem Vater gegenüber: Sie liebte ihn, verließ sich jedoch nie auf ihn. Ihre rosarote Brille war bereits vor langer Zeit kaputtgegangen, und sie sah ihn, wie er war – mit all seinen Vor- und Nachteilen.
Komisch, wie ihre plötzliche Wut bewirkte, dass sie sich wegen ihrer prekären Rechtslage weniger Sorgen machte. Nein, sie war nicht weniger besorgt, sondern konzentrierte sich nur nicht so auf ihre Sorgen. Zumindest dazu taugte Jacky also bestens.
Sie zog sich eilig fertig an, schnappte sich ihren Terminkalender, hielt dann den Bruchteil einer Sekunde nach ihrem Aktenkoffer Ausschau, bis die Erinnerung sie wie ein Schlag traf: Die Bullen hatten ihren Aktenkoffer. »Ach je«, stöhnte sie kläglich und schloss einen Moment entsetzt die Augen. Sie brauchte ihren Aktenkoffer. Da waren alle Einzelheiten in Sachen Hochzeitsproben und Hochzeitsfeiern drin, die nun wie eine Flut über sie hereinbrechen würden. Sie würde ihn doch sicherlich heute zurückbekommen – oder nicht? Ihr fiel kein Grund ein, weshalb sie ihn nicht wiederkriegen sollte, schließlich hatte ihr Aktenkoffer nichts mit dem Mord an Carrie zu tun – er hatte nur am Tatort herumgestanden. Oder würden sie ihn als Beweismittel betrachten? Vielleicht war er ja mit Carries Blut besudelt.
Mist. Mist, Mist – Mist!
Die Erkenntnis, dass es ihre eigene Schuld war – dass sie den Aktenkoffer dort vergessen hatte –, half ihr auch nicht weiter. Sie hatte Erics Karte in der Handtasche mit seiner privaten Handynummer hinten drauf. Es war ihr ein Gräuel, ihn überhaupt anzurufen, aber vielleicht würde er ja sagen: Kein Problem, der Aktenkoffer war nicht die Mordwaffe, Sie können ihn im Präsidium abholen . Sie hegte zwar ihre Zweifel, aber vielleicht … Da sie zu den Verdächtigen zählte, würden sie womöglich den Aktenkoffer als Beweis für ihre Anwesenheit behalten – als ob sie dafür weitere Beweise bräuchten! Vielleicht war der Aktenkoffer ein Indizienbeweis, ein Grund, weshalb sie nach dem Treffen mit Madelyn in den Empfangssaal zurückgekehrt war.
Sie würde es nie erfahren, wenn sie es nicht zumindest versuchte. Ein kurzer Blick auf die Uhr besagte jedoch, dass es für einen Anruf noch zu früh war. Die Tatsache, dass sie nicht einmal wusste, um welche Uhrzeit er arbeitete, verdeutlichte ihr wieder einmal, wie unglaublich leichtsinnig es von ihr gewesen war, nach so kurzer Bekanntschaft mit ihm ins Bett zu steigen.
Für den Fall, dass sie ihren Aktenkoffer nicht zurückerhielt, standen noch alle Informationen in den Dateien ihres Bürocomputers; es wäre zwar zeitaufwändig, aus allen Dateien die entsprechenden Informationen herauszufiltern, aber machen ließ es sich durchaus.
Frustriert fuhr sie zu Premier. Der Parkplatz war leer, das Gebäude dunkel. Sie holte ihre kleine Taschenlampe aus dem Handschuhfach. Damit bewaffnet – und mit einem Pfefferspray –, sperrte sie die Hintertür auf und betrat das Gebäude. Nachdem sie das Licht eingeschaltet und die Tür wieder abgesperrt hatte, setzte sie eine Kanne Kaffee auf und begann mit ihrer Alltagsroutine: Sie erstellte eine Liste der Dinge, die es an diesem Tag zu erledigen galt. Sie hatten an dem Abend zwei Hochzeitsproben; Madelyn zog die pinkfarbene durch, sie den Bulldog-Probelauf.
Besagte »Bulldogge« war natürlich das Maskottchen Uga der George-Universität. Es war nicht die erste Hochzeit mit einem Football-Thema, die sie organisierte, und sicher auch nicht
Weitere Kostenlose Bücher