Feuer der Rache
„Vielleicht ist es das Gefühl der Eifersucht, das tief in dir schlummert, auch wenn du es nicht wahrhaben willst? Deshalb lässt du dich auch auf diesen Spaziergang mit mir ein, obwohl du sagtest, du wolltest nichts mehr mit mir zu tun haben. Aber dies ist der einzige Weg, sicherzugehen, dass ich nicht zu ihr zurückeile, um ihr ein wenig Gesellschaft zu leisten."
„So ein Blödsinn!", rief die Kommissarin laut. „Ich will sie nur vor deiner Blutgier bewahren."
Peter von Borgo wiegte den Kopf hin und her. „Mag sein. Es könnte aber auch die Furcht sein, dass ich mich für mehr als nur ihr Blut interessiere."
„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du verdammt eingebildet bist?"
Der Vampir überlegte. „Nicht in den vergangenen hundert Jahren."
„Dann wird es höchste Zeit, dass ich es jetzt tue!", fauchte Sabine.
Er reagierte nicht auf ihren aggressiven Ton und blieb ihr auch die Antwort auf ihre Frage schuldig. Stattdessen wandte er sich ihr zu und näherte seine glühenden Augen den ihren. Seine Arme umschlangen sie, sodass jede Gegenwehr zwecklos erschien.
„Du bist hinreißend! Wie habe ich das vermisst! Komm mit mir. Wir überlassen uns dem Zauber der Nacht. Wir können dem Klang der Dunkelheit lauschen oder reden oder streiten, ganz wie du möchtest." Er küsste sie. Sabine schmeckte Blut auf ihren Lippen. Sie wollte den Blick abwenden, aber es gelang ihr nicht. Sie fühlte, wie jeder Widerstand schwand.
„Ich dachte, diese Mittel wolltest du bei mir nicht einsetzen", hauchte sie, während ihre Knie nachgaben.
„Das wollte ich auch nie, aber habe ich eine andere Wahl? Lass dich eine Nacht lang fallen. Komm einfach mit und atme den Zauber ein -und dann sage mir noch einmal, ob ich für immer von dir gehen soll!"
Die Welt um sie verschwand. Sie sah nur noch seine Augen. Sabine fühlte, wie sie zu Boden sackte, doch bevor sie aufschlug, hoben seine Arme sie hoch und drückten sie an seine in Seide gehüllte Brust. Sie schloss die Augen. Wind rauschte in ihren Ohren. Gerüche und Bilder huschten vorbei. Sie flog, der Wind wurde kühler -oder bildete sie sich das nur ein? War das feuchtes Gras, das ihre Beine streifte? Sie konnte ihre Umgebung nicht klar erkennen. Erinnerungen mischten sich unter die Wirklichkeit und waren bald nicht mehr von ihr zu unterscheiden. Waren da auch Töne? Sie fühlte etwas Weiches an ihrer Wange und merkte, dass sie auf der Seite lag. Sabine lauschte. Das Klicken einer Tür. Etwas knarrte, und nun konnte sie die Nacht wieder riechen. Ein Vogel rief. In der Ferne tuckerte ein Boot. Sabine versuchte, die Augen zu öffnen. Es war dunkel um sie her, und dennoch wusste sie: Sie war in seinem Haus. Dort vorn musste irgendwo der Flügel stehen. Die offenen Glastüren zum Garten hoben sich als graue Rechtecke von der Schwärze ab.
Wo war er? Sie konnte ihn nicht mehr spüren. Was würde er als Nächstes mit ihr tun? Ein Funke glomm in ihrem Bauch, eine Flamme flackerte, wuchs und breitete sich aus. Hitze strömte durch ihren Leib. Sie fühlte keine Angst, keine Abscheu, keinen Hass -nur Verlangen!
Die Musik begann mit einem Donnerschlag, der ihren Körper erbeben ließ und in ihrem Bauch dröhnte. Ihre Fingerspitzen vibrierten. Mächtige Akkorde in schnellem Lauf, eine Spannung, immer weiter getrieben, bis sich ihr Körper dagegen aufbäumte. Endlich die Erlösung in der Harmonie. Sanfte Läufe, Sprünge und Dreiklänge, die in eine Walzermelodie mündeten. Doch so schnell gaben sich die tosenden Elemente nicht zufrieden. In Moll griffen sie nach der Heiterkeit. Erst kaum merklich, dann immer drängender, bis sie die Herrschaft wieder an sich rissen. Seine Stimme kam aus dem Nichts.
„Die Sonne tönt nach alter Weise In Brudersphären Wettgesang, Und ihre vorgeschriebne Reise Vollendet sie mit Donnerklang. Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke, Wenn keiner sie ergründen mag; Die unbegreiflich hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag."
Sabine schloss die Augen und lauschte Goethes Worten. Welch Irrwitz, dass es ein Vampir war, der den Engeln im Himmel eine Stimme gab. Ohne dass ein Geräusch verraten hätte, dass Peter von Borgo seinen Platz verändert hatte, erklang seine Stimme, nachdem der Engel Raphael geendet hatte und Gabriel zu sprechen begann, nun von der anderen Zimmerecke her. Der dritte Engel stand in der Mitte. Danach würde Mephisto auftreten und Gott herausfordern. Sie sah ihn vor sich, mit Gustaf Gründgens' weiß geschminktem Gesicht, und hörte
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