Feuer der Rache
Tote lag auf dem Boden. Es schien, als habe er noch mit letzter Kraft versucht, zum Schreibtisch zu kriechen und per Telefon Hilfe zu rufen, als der Tod ihn einholte. Sein rechter Arm war ausgestreckt, die Hand in den Teppich gekrallt, der linke Fuß drückte gegen das verchromte Bein des niederen Glastisches, um den sich vier bequeme Besuchersessel gruppierten.
„Weißt du, ob das Kai Reeder ist?"
„Er war es", sagte der Vampir.
Sabine kniete nieder, um das Gesicht des Toten zu betrachten. Das Haar war zerzaust, sein Mund schmerzverzerrt, die Augen weit aufgerissen. Seine letzten Momente mussten qualvoll gewesen sein.
Die Kommissarin atmete langsam aus und betrachtete die Leiche mit berufsmäßiger Distanz: Klein, nicht über eins siebzig, untersetzt, notierte sie sich in Gedanken. Obwohl er kaum dreißig Jahre alt sein durfte, zeigte sich schon eine Neigung zur Glatze. Der Haaransatz wies über der Stirn zwei tiefe Furchen auf, am Hinterkopf schimmerten lichte Stellen in dem dunkelbraunen Haar. Nacken, Stirn, Nase und Wangen waren sonnenverbrannt, das konnte man trotz der Leichenblässe erkennen. Offensichtlich war seine Urlaubswoche an der Nordsee keine Erfindung gewesen. Nur, wann hatte er sie angetreten? War er am vergangenen Freitag noch in Hamburg gewesen und erst nach dem Mord an Dr. von Everheest gen Norden gefahren?
Der Vampir stand reglos vor den zugezogenen Vorhängen am Fenster und beobachtete Sabine.
Die Kommissarin beugte sich noch ein wenig tiefer und roch an dem Toten. Zigarettenrauch und der Beginn von Verwesung.
„Wie kommst du darauf, dass er vergiftet wurde?", fragte sie und hob den Kopf, um Peter von Borgo anzusehen. „Ich weiß, es ist in seinem Alter nicht sehr wahrscheinlich, aber könnte es nicht ein Herzinfarkt gewesen sein?"
Der Vampir trat zu ihr. „Ich kann das Gift wittern. Nein, ich würde nicht auf Herzinfarkt tippen." Er deutete mit der Schuhspitze auf ein Glas, das in den Schatten einer der Sessel gerollt war. „Im Labor der Rechtsmedizin werden sie es herausfinden."
Sabine beugte sich noch einmal über den Toten. Was war das an seinem Hals? Sie zog ein Papiertaschentuch aus ihrer Hose, wickelte es um den Finger und schob den Kragen des Polohemds ein Stück zur Seite. Die Kommissarin sog scharf die Luft ein.
„Peter!", fauchte sie. „Verflucht noch mal. Kann es sein, dass es weder ein Herzinfarkt noch Gift war? Ist es möglich, dass dieser Mann an zu wenig Blut in seinem Körper gestorben ist?"
„Nein, das halte ich nicht für möglich."
„Ach nein? Wie viele Möglichkeiten gibt es denn, sich solch eine Wunde zuzuziehen? Wie viele Vampire laufen denn durch Hamburgs Straßen und saugen nachts Menschen aus?"
„Soweit ich informiert bin, bin ich der Einzige", gab er ruhig Auskunft.
„Du machst mich wahnsinnig!", schrie sie. „Du hast hier vielleicht einen wichtigen Zeugen in einem Mordfall oder gar den Mörder selbst umgebracht. Das ist Behinderung der Justiz!"
Der Vampir lächelte amüsiert. „Du solltest deine Lautstärke zügeln. Wer weiß, ob es hier einen Nachtwächter gibt. Das wäre sicher eine peinliche Situation, morgens um drei mit einem Ermordeten angetroffen zu werden."
„Lenk nicht ab", fauchte sie schon viel leiser.
„Ich finde es sehr interessant, dass du dich in deinen falschen Anschuldigungen nur über die Behinderung der Justiz ereiferst, nicht über die Tatsache des Todes an sich."
„Ach, nerv mich nicht. Natürlich ist der Tod an sich immer schlimm, aber das ist nicht das Thema: Hast du diesen Mann getötet?"
„Ich sagte dir bereits, er wurde vergiftet, und das gehört nicht zu meinen Methoden, Menschen aus dem Leben zu reißen", erklärte er höflich. „Weder Gift noch Schusswaffen", fügte er hinzu. Er nahm Sabine das Taschentuch aus der Hand, trat hinter den Schreibtisch, bückte sich und hob einen Gegenstand hoch, der dort auf dem Boden gelegen hatte. Er schlenderte zu der Kommissarin zurück und drückte ihr eine Pistole in die Hand.
„Walther P5, neun Millimeter. Ich denke, es ist die Mordwaffe zu dem Fall von Everheest."
„Das ist gut möglich, doch deshalb wissen wir immer noch nicht, wer den Abzug bedient hat. Ich vermute, wir werden keine Fingerabdrücke finden?"
Der Vampir nickte. „Ja, das vermute ich auch."
„Und wer sagt mir, dass nicht du sie dorthin gelegt hast? Wie kommt es überhaupt, dass du diesen Toten -wie du sagst -entdeckt hast? Willst du mir nicht auch noch ein paar Einzelheiten über den toten
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