Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
gestrichene Metall der Kanalbrücke. Durch den Nebel schimmert das Licht des Herrenhofs vom anderen Ufer herüber.
Vielleicht könnte sie es bis dahin schaffen. Beim Feind Schutz suchen.
Die Kanalbrücke ist beleuchtet, aber der Nebel ist dichter geworden. Sie muss das Risiko eingehen. Linnéa zittert am ganzen Körper. Sie hat Todesangst davor, ohnmächtig zu werden. Wenn Erik und die anderen sie hier finden, hat sie keine Chance.
Sie schaut sich ein letztes Mal um, lauscht konzentriert in die Dunkelheit. Dann erlaubt sie sich ein paar tiefe Atemzüge und fängt an, die Böschung hochzuklettern. Dünne Zweige zerkratzen ihr das Gesicht, als sie sich durch das Gestrüpp kämpft. Der Boden ist nass und glitschig. Es riecht nach Erde und Feuchtigkeit.
Linnéas Arme zittern vor Anstrengung, als sie sich das letzte Stück nach oben zieht. Mit zittrigen Beinen steht sie auf, duckt sich in dem giftig gelben Schein der Straßenlaternen.
Sie rennt auf die Brücke. Ins Licht.
Sie weiß, dass sie den höchsten Punkt erreicht hat, als die leichte Steigung aufhört. Die Hälfte. Sie muss es schaffen. Muss.
Jetzt! Jetzt sitzt sie fest!
Linnéa bleibt wie angewurzelt stehen, als sie die Stimme in ihrem Kopf hört. Sie dreht sich um und sieht eine Silhouette durch den Nebel auf sich zukommen. Einen Baseballschläger in der Hand.
Wir haben sie!
Sie dreht sich um und nimmt wahr, wie sich auf der anderen Seite der Brücke eine zweite Gestalt aus dem Nebel löst. Robin. Sie hört sein Atmen bis hierher. Jetzt rennt er nicht mehr. Er geht genauso ruhig wie Erik. Sie haben es nicht eilig, sie wissen, dass Linnéa nicht entkommen kann.
Ihre Augen funkeln sie aus den schwarzen Sturmhauben an. Diese Schweine. Diese feigen Schweine. Sie wird ihnen nicht zeigen, wie groß ihre Angst ist.
»Hallo, Linnéa«, sagt Erik.
»Fahr zur Hölle«, sagt sie.
Er lacht auf und zieht den Baseballschläger hinter sich über den Boden. Das Holz schleift schwer über den Asphalt, hüpft und holpert über Unebenheiten.
»Das war so nicht geplant«, sagt er. »Du hättest nicht so früh nach Hause kommen dürfen. Wir dachten, Huren arbeiten die ganze Nacht. Aber es ist okay so. Eigentlich ist es sogar
noch besser
.«
Sie bleiben links und rechts neben ihr stehen, und Linnéa versucht, auf die andere Straßenseite zu rennen. Aber Robin bekommt sie zu fassen. Er hält ihren Arm fest, zerrt sie zu Erik, der in aller Ruhe am Brückengeländer wartet.
»Seit wann bist du so spießig, Linnéa?«, sagt er. »Ich dachte, du freust dich über ein bisschen Spaß.«
Linnéa schreit auf, als Erik sie an den Haaren packt. Ihre Augen füllen sich vor Schmerz mit Tränen. Er reißt ihren Kopf nach hinten und begegnet ihrem Blick.
»Hast du etwa Angst?«
»Nein«, sagt sie.
Sie will nicht schreien, aber der Schmerz ist zu groß, als Erik weiter zieht. Plötzlich hört sie Robins Gedanken ganz deutlich.
Kann es nicht einfach vorbei sein, kann es nicht einfach vorbei sein, kann es nicht einfach vorbei sein …
»Lass mich los, Robin«, sagt Linnéa heiser. »Bitte, Robin, lass mich los …«
Sie hasst es, zu flehen und zu betteln. Aber Robin fängt an zu zweifeln. Erik sieht es auch.
Er hebt den Baseballschläger.
»Spring«, sagt er und nickt mit dem Kopf zum Brückengeländer.
Ein weißer Blitz zuckt durch Anna-Karins Traum und sie setzt sich ruckartig im Bett auf.
Sie ist wieder bei ihrem Fuchs. Er rennt den Kanal entlang, seine ganze Aufmerksamkeit ist auf die Brücke gerichtet. Drei Gestalten stehen da oben, hell beleuchtet, aber im Nebel nur schemenhaft zu sehen. Die Ohren des Fuchses fangen ihre Stimmen auf.
»Spring«, sagt einer von ihnen und Anna-Karin erkennt Erik sofort. »Sonst werfen wir dich rein.«
»Lass gut sein. Ernsthaft«, sagt ein anderer.
Robin.
»Lass gut sein. Ernsthaft«,
äfft Erik ihn nach. »Sei ein Mann, verdammt. Du hasst diese elende Schlampe doch genauso sehr wie ich.«
»Lass mich los, Robin, bitte, Robin«, hört sie Linnéa flehen.
Linnéa.
Anna-Karin springt aus dem Bett. Die Polizei. Sie muss die Polizei rufen. Verhindern, was da passiert. Sie nimmt ihr Handy, aber mitten in der Bewegung hält sie inne. Was, wenn der Anruf zurückverfolgt wird? Wie soll sie erklären, dass sie etwas sieht, das ganz woanders geschieht? Vielleicht wird man ihr nicht glauben?
»Spring, habe ich gesagt«, sagt Erik. »Ihr Psychos wollt euch doch sowieso alle umbringen. Jetzt hast du die Gelegenheit dazu!«
Er schwingt etwas
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