Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
Unglaublich, aber Erik scheint fertig zu sein. Er macht Helena Platz, die ebenfalls applaudiert. Sie geht an den Bühnenrand und nimmt die Hände klatschend über den Kopf, um den Moment noch weiter in die Länge zu ziehen.
Vanessa schaut zu Rickard.
Er sieht so gewöhnlich aus. So
normal
. Aber ist das nicht exakt das, was die Leute immer sagen, wenn in ihrer Nachbarschaft ein Serienmörder gefasst wird und die Polizei vierzehn zerstückelte Leichen im Vorgarten ausbuddelt?
Die Typen neben Rickard schieben sich näher an die Bühne und plötzlich ist er alleine. Sie geht zu ihm. Bleibt stehen.
Die Kette, an der das Amulett hängt, sieht dick aus. Sie wagt es nicht, das Risiko einzugehen und einfach daran zu ziehen.
Der Verschluss ist nach vorne gerutscht. Vanessa flucht. Es wird viel schwieriger, das Ding von dieser Seite aus zu öffnen. Sie hat nur einen Versuch. Sie macht noch einen Schritt auf ihn zu, wischt sich die schweißnassen Hände an der Jeans ab, hebt die Hand langsam zum Amulett. Sie steht so dicht vor ihm, dass sie seinen Atem spürt. Er riecht nach Barbecue-Chips und Enttäuschung. Ihre Finger berühren fast die Kette.
Rickard zuckt zusammen und schaut sie an.
Nein, das ist unmöglich, denkt Vanessa. Das bilde ich mir nur ein.
Aber bevor sie versteht, was passiert, hat Rickard ihre Handgelenke gepackt.
Vanessa tritt ihm mit aller Kraft vors Schienbein, aber er zuckt nicht mal. Stattdessen schießt sein Knie wie ein Rammbock in ihren Bauch.
Ihr wird schwarz vor Augen. Sie bekommt keine Luft mehr. Rickard hat noch immer ihre Handgelenke umklammert, als sie auf den Boden sackt.
Sie spürt, wie sie sichtbar wird, und wie zur Bestätigung richten sich zweihundert Augenpaare auf sie.
Der Schock schleudert Anna-Karin aus dem Bewusstsein des Fuchses.
»Er hat sie!«, flüstert sie und öffnet die Augen.
Sie sieht den Schatten, der Ida ist, neben sich aufspringen.
»Er hat Vanessa«, flüstert Anna-Karin. »Er …«
Sie verstummt.
Schritte nähern sich aus der Turnhalle. Ida hat sie auch gehört. Sie ist schon auf dem Weg aus der Dusche.
»Warte!«, flüstert Anna-Karin und rennt ihr nach.
Aber Ida ist so viel schneller. Sie verschwindet durch die Tür auf der anderen Seite der Umkleide in den dunklen Gang.
Anna-Karin weiß, dass sie sich nicht wundern sollte, aber trotzdem tut sie es. Sie hat wirklich geglaubt, Ida hätte sich geändert.
Hinter Anna-Karin wird die Tür aufgerissen.
Die Tür, die zur Turnhalle führt.
Sie dreht sich um.
Julia und Felicia. Und hinter den beiden noch mehr PE -ler. Wie eine große, gelbe Wand.
Anna-Karin weicht zurück. Sie sieht in den Augen der anderen, dass sie ein einziges Bewusstsein teilen, einen einzigen Willen haben. Sie wollen sie fangen.
Anna-Karin lässt ihre ganze Kraft fließen.
STOPP !
Aber Julia und Felicia kommen unaufhaltsam auf sie zu, und Anna-Karin weicht weiter zurück, stolpert in eine der niedrigen Bänke, die an den Wänden des Raums entlangführen, schlägt um ein Haar mit dem Hinterkopf gegen einen Kleiderhaken.
STOPP !
Die Wand kommt näher.
STOPP !
Es liegt nicht daran, dass es zu viele sind. Anna-Karin hat schon mehr Menschen auf einmal kontrolliert. Es liegt daran, dass sie miteinander verbunden sind. Ihre Kraft wird in dem großen gemeinsamen Bewusstsein verdünnt. So, als wolle man eine Badewanne mit einem Teelöffel füllen.
Julia und Felicia bauen sich links und rechts neben ihr auf und packen ihre Arme. Anna-Karin versucht gar nicht erst, sich zu wehren, sondern lässt sich in die Turnhalle führen. Wenn die anderen Auserwählten auch gefangen wurden, haben sie vielleicht gemeinsam eine Chance.
73. Kapitel
D
er Puls in Linnéas Ohren schwillt dröhnend an und ab.
Sie kommt sich vor wie in einem ihrer wiederkehrenden Albträume. Sie geht durch den dunklen Korridor, der zu der Treppe zum Dachboden führt. Sie weiß, dass etwas Furchtbares passieren wird, dass sie es verhindern muss, aber sie weiß nicht, wie, und vielleicht ist es längst zu spät.
Linnéa bleibt vor der vollgekritzelten Toilettentür stehen.
Komm rein
, sagt die Stimme.
Sie drückt die Klinke nach unten und öffnet.
Das grelle Licht der Neonröhren blendet sie, und Linnéa blinzelt, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt haben.
Erst begreift sie gar nicht, wer da vor ihr steht. Sie kennt das Gesicht und doch kennt sie es nicht. Es ist so gealtert. Als wäre es viele Jahre her, dass sie sich das letzte Mal gesehen haben, dabei sind
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