Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
nicht.
Anna-Karin sitzt auf dem alten graublauen Küchensofa in Großvaters kleinem Wohnzimmer im Altenheim. Obwohl seine eigenen Möbel hier stehen, fühlt es sich nicht so an, als würde er wirklich hier wohnen.
Großvater Zeigefinger streicht vorsichtig über das feuerrote Mal an Anna-Karins linker Hand. Der Fuchsbiss ist immer noch nicht richtig verheilt. Nachts pocht die Wunde, dumpf und schmerzhaft. Tagsüber juckt es. Und manchmal, so wie jetzt, hat sie das Gefühl, als würde eisiger Raureif ihren ganzen Arm überziehen. Anna-Karin hat eine Tetanusimpfung bekommen, aber diese Kälte macht ihr Angst. Sie muss an Worte wie »Wundbrand« und »Amputation« denken.
»Du solltest noch mal Spitzwegerich drauflegen«, sagt Großvater. »Aber vergiss nicht, die Blätter erst gründlich zu waschen, damit keine Bakterien mehr dran sind. Wenn es nicht besser wird, dann frag deine Mutter, ob noch etwas von meiner Ringelblumensalbe übrig ist.«
Anna-Karin zögert einen Augenblick.
Sie hat ihrem Großvater ein bisschen davon erzählt, was im letzten Jahr geschehen ist, von ihren Kräften und wozu sie sie missbraucht hat. Er hat es ja sowieso schon geahnt. Aber die Auserwählten hat sie nie erwähnt. Oder den Rat. Oder die Apokalypse.
»Woher weißt du so was?«
»Mein Vater hat mir viel über Pflanzen beigebracht.«
»Aber ich meine nicht nur das. Du konntest schon immer … eine Menge. Wie das mit der Wünschelrute. Du hast den Blutmond gesehen. Und du hast schon immer viel gespürt. Als letztes Jahr das alles mit mir passiert ist … Du wusstest, dass es Magie gibt.«
Großvater verschränkt die Hände vor den Knien und beugt sich vor.
»Manche nennen es vielleicht Magie«, sagt er. »Aber in meinen Augen ist es ein Teil der Natur. In meiner Familie war das nie ungewöhnlich. Wir haben es im Blut.«
»Kennst du den Rat?«, flüstert Anna-Karin.
Sie hält fast die Luft an. Aber Großvater sieht sie nur verständnislos an.
»Welchen Rat?«, sagt er.
»Nichts. Ich weiß nicht. Es ist egal«, antwortet sie und schaut auf den Boden.
»Erzähl noch mal von dem Fuchs«, sagt Großvater.
Sie tut es. Fängt da an, als sie den toten Baum zum ersten Mal sah, berichtet weiter von dem Gewitter, das über den Himmel rollte und das Tageslicht innerhalb weniger Minuten in Dunkelheit verwandelte.
»Ich verstehe nur nicht, warum er das gemacht hat. Der Fuchs, meine ich«, sagt sie.
»Erinnerst du dich an die Fuchsfamilie, die ihren Bau direkt am Waldrand hatte?«, fragt Großvater.
Anna-Karin bekommt Gänsehaut, als würde sich die Kälte des Bisses über ihren ganzen Körper ausbreiten. Was ihr Großvater da erzählt, ist eine alte Erinnerung, die nichts mit ihr zu tun hat.
»Großvater, ich bin’s, Anna-Karin«, sagt sie. »Ich war noch ein Baby, als die Fuchsfamilie da war.«
»Das weiß ich selbst«, antwortet Großvater ungeduldig. »Aber es wurde wohl damals schon entschieden. Die Füchse, die wissen das.«
Sie ist sich immer noch nicht sicher, ob ihm wirklich klar ist, dass er mit ihr redet, oder ob er sie für Mama oder Oma Gerda hält.
»Was meinst du?«, fragt sie.
»Der Wald weiß es«, sagt Großvater gedämpft.
Sein Blick ist nach innen gekehrt. Er ist an diesen Ort verschwunden, an dem sie ihn nicht erreichen kann. Anna-Karin steht auf und umarmt ihn vorsichtig.
»Ich muss jetzt gehen«, sagt sie. »Aber ich komme bald wieder.«
Sie hofft, dass er auch zurückkehrt. Dass er sich nicht endgültig verirrt.
25. Kapitel
M
inoo wacht auf, als sie Stimmen im Garten hört. Zwei Frauen, die lachen und durcheinanderreden.
Minoo hatte Mama versprochen, sie zum Bahnhof zu begleiten, um Bahar abzuholen. Sie erinnert sich dunkel, dass Mama in ihr Zimmer kam und sagte, dass sie losmüssten, und auch noch an ihre Antwort, dass sie es nicht schafft. Jetzt wird sie von akutem schlechtem Gewissen befallen. Sie zieht ihren Morgenmantel über und läuft eilig nach unten in den Garten.
Die Schwestern sitzen in der hölzernen Hollywoodschaukel und schwingen sanft vor und zurück. Sie haben Minoo nicht bemerkt und sie bleibt stehen, betrachtet die beiden.
Bahar ist nur ein Jahr älter als Minoos Mutter, und als sie klein waren, hielten Fremde sie immer für Zwillinge. Aber jetzt wirkt Mama plötzlich älter als ihre große Schwester. Jetzt, wo sie hier nebeneinandersitzen, fällt Minoo auf, wie müde und ausgezehrt ihre Mutter aussieht, obwohl sie lacht.
»Minoo!«, ruft Bahar, als sie sie entdeckt.
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