Feuer (Engelsfors-Trilogie) (German Edition)
nicht wahr? Du, ich und Evelina.«
»Klar. Und weder Mehmet noch Wille oder sonst jemand kann uns das nehmen. Wir sind nur ein Mal im Leben jung. Denkst du, in ein paar Jahren werden wir uns überhaupt noch an diese Deppen erinnern?«
Michelle muss lachen, ein kleines Schnauben, das eine Rotzblase in ihrem linken Nasenloch aufbläst. Vanessa streicht sie mit dem Saum ihres Kleides weg. Dann wischt sie Michelle die Tränen von der Wange. Ihr Kleid bekommt schwarze Mascarastreifen.
»Und jetzt reiß dich zusammen«, sagt sie.
Michelle nickt und Evelina hilft den beiden auf die Füße. In Vanessas Kopf dreht sich alles.
»Wisst ihr, was wir brauchen?«, sagt sie. »Mehr Alkohol!«
Ein paar Stunden später liegt Vanessa auf der fusseligen Wohnzimmercouch. Sie schaukelt sanft, als würde sie auf einem ruhigen Meer dahintreiben, während Stimmen und Musik zu einer einschläfernden Geräuschkulisse zusammenfließen. Das ist alles nur die Schuld von Evelinas Shots. Vanessa kichert. Sie liebt ihre Freundinnen. Jetzt gerade liebt sie überhaupt
alle
.
»Na, wie geht’s«, flüstert ihr jemand ins Ohr und sie öffnet langsam die Augen.
Jari. Sein Gesicht ist ganz nah.
»Verdammt gut«, antwortet sie und ist plötzlich hellwach.
Sie hat das Gefühl, mit Energie aufgeladen zu sein, die sie irgendwo rauslassen muss. Jetzt sofort. Es ist an der Zeit, den Wahrheitsgehalt der Theorie von Evelinas Mutter zu testen.
Sie hebt den Kopf und küsst ihn. Er zögert nicht. Küsst sie zurück.
Jaris Mund ist warm und weich. Vanessas Lippen fangen an zu kribbeln. Sie lässt sich auf das Sofa zurücksinken und er folgt ihr, deckt sie mit seinem ganzen Körper zu. Ihre Hände gleiten unter sein T-Shirt. Jemand pfeift, und sie müssen lachen, während sie weiterknutschen.
Hoffentlich erfährt Wille davon, denkt sie.
Und mit diesem Gedanken ist die Stimmung zerstört. Ihre Nervenenden hören schlagartig auf, auf Jaris Berührungen zu reagieren. Das Einzige, was sie noch denken kann, ist, dass seine Küsse so anders sind als Willes, die langsam waren und entschlossen.
Jari ist zu eifrig.
Vanessa macht die Augen zu, versucht, sich wieder in das Gefühl fallen zu lassen, das eben noch da war. Aber als Jaris Hand anfängt, an ihrer Hüfte zu fummeln, dreht sie sich weg.
Mist, Mist, Mist. Das hier wird nichts. Scheiß-Wille. Alles Dreck.
Vanessa stemmt eine Hand gegen Jaris Brustkorb und drückt ihn weg. Überrascht schaut er sie an.
»Was ist los?«
»Nichts«, sagt Vanessa.
Jari sieht so beunruhigt aus, dass sie versucht, ihn anzulächeln. Sie mag ihn. Er ist nur einfach nicht der, den sie küssen will.
»Mir ist eben eingefallen, dass ich nach Hause muss.«
Jari steht auch vom Sofa auf. Vanessa schwankt und er bietet ihr seinen Arm als Stütze an.
»Soll ich dich bringen? Bist du okay?«
Vanessa nickt.
»Total okay«, sagt sie und wünschte, es wäre wahr.
Die Nacht ist dunkel und riecht nach verrottetem Grünzeug. Was auch immer die Hitze versucht, einen glauben zu machen, der Herbst ist da. September.
Vanessa muss sich ein Auge zuhalten, um sehen zu können, was sie in ihrer SMS an Evelina geschrieben hat.
BIN NACH HAUSE < 3 < 3 < 3
Ein Stück die Straße runter hört sie grölende Männer und lachende Frauen. Dröhnende Musik. Die Geräusche des Götvändaren. Sie schaut blinzelnd nach der Uhrzeit auf dem Handydisplay. Halb eins. Noch eine halbe Stunde, bis der Club schließt. Dort drinnen dürfte die Party in vollem Gange sein.
Die Leute stehen in großen Trauben vor dem Eingang. Sie stolpern, lallen, stützen sich gegenseitig. Am übelsten sind die Älteren dran. Die, die eigentlich lang genug Zeit hatten, den Umgang mit Alkohol zu lernen. Im Vorbeigehen schnappt Vanessa ein paar Gesprächsfetzen auf. Die Verhandlungen sind in vollem Gange. Wer geht mit wem nach Hause, wer feiert im Anschluss noch weiter, wer muss alleine ins Bett?
Durch das Fenster fällt Vanessas Blick auf einen Typen und ein Mädchen an der Bar. Sie stehen so dicht nebeneinander, dass sie nur frisch verliebt sein können. Der glänzende dunkle Pferdeschwanz des Mädchens wippt, wenn sie lacht.
Vanessa fragt sich, wie man nur so naiv glücklich sein kann. Kann man wirklich verdrängen, wie mikroskopisch klein die Chance ist, dass die Beziehung hält? Wird sie selbst je wieder so sein? Jetzt, in diesem Augenblick, hat sie definitiv das Gefühl, dass sie Gefahr läuft, bis ans Ende ihres Lebens verbittert zu sein.
Dann geht alles ganz
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