Feuer fuer den Grossen Drachen
ein Glas Coca gebracht hatte, ging es auch wieder.
Bilder aus Rosemary’s Baby.
Auch die verdrängte sie noch. Nach einer Viertelstunde etwa war sie endlich in der Lage, ihren wissenschaftlichen Auftrag zu erfüllen und Önal Bey zu fragen, ob er denn seinen Sohn noch immer nicht im Knast besuchen wolle.
Wieder brach es aus dem Türken heraus, und Hanna verstand zunächst nur die Worte namus und ayip. Ehre und Schande, wie Tuğrul später übersetzen sollte, darum kreiste alles, was Herr Önal sagte.
«Er hat uns allen Schande gebracht! Komme ich ins Restaurant, stehen meine Freunde auf. Seit Ismails Foto in der BZ war, ist es schlimm hier. Ich will ihn nie mehr sehen. Meine Ehre! Geht er in die Türkei zurück, wird er behandelt werden wie ein Hund auf der Straße! Schluß jetzt!»
Noch ein paar neutralere Fragen (schnelle Kreise und Notizen in ihren Fragebogen), dann gab es endlich Essen, und die Atmosphäre entspannte sich wieder ein wenig.
Hanna sprach so etwas wie ein wortlos-atheistisches Dankgebet, als sie sich, es war schon lange dunkel geworden, endlich verabschieden konnte und wieder auf der Treppe war.
Gleich darauf wünschte sie sich in die schäbige Wohnung der Önals zurück.
Unten war die Treppenbeleuchtung kaputt. Kaputt –oder hatte vielleicht jemand die Birnen herausgedreht? Tuğrul hielt sie am Ärmel fest und zog eine kleine Taschenlampe heraus. In ihrem funzligen Schein tasteten sie sich nach unten.
Hanna dachte an Schlachtensee, an ihre Villenetage. Die schmiedeeisernen Leuchten im Garten. Die Alarmanlage am Giebel. Und in Jever saßen sie jetzt vorm Fernseher und tranken Genever, abgeschirmt auf ihrer Insel…
Der Hof! Dieser unheimlich-düstere Schacht. Nur so groß, um einer preußischen Feuerspritze das Wenden zu ermöglichen; für Hanna so gefahrvoll wie für einen Spähtrupp das Niemandsland zwischen den Fronten.
Sie huschten hinüber, kamen auch unbehelligt durch den Flur, fuhren erst zusammen, als sie zwei Türken im Eingang lehnen sahen: die Brandwache. Aber die beiden kannten Tuğrul und beließen es bei einem leisen Gruß.
Es waren nur ein paar Schritte zu Hannas Golf. Sie schloß auf und stutzte. Die Tür war mit schwarzem Filzschreiber beschmiert:
Türken-Hure! Dein Ende wird schrecklich sein!
Darunter eine stilisierte Kapuze und das Kreuz des Ku-Klux-Klans.
PLÄNE
Kochale kam vom Arzt. Seit Theo tot war, und erst recht seit der Beisetzungsfeier im Krematorium Wilmersdorf, litt er an starken Schlafstörungen und einer mittleren Gastritis, auch die Galle spielte des öfteren verrückt. Zwar hatte man ihm keine direkte Diät verordnet, dies sei nicht mehr zeitgemäß, aber dennoch angeraten, bei der Wahl seiner Mahlzeiten Vorsicht walten zu lassen. Als wenn er überhaupt noch Hunger gehabt hätte!
Und ausgerechnet heute war er mit Kelm verabredet.
Als sie sich dann im Maredo gegenübersaßen, einem auf argentinisch gemachten Steakhaus, Kudamm zwischen Bleibtreu- und Schlüterstraße, schob ihm Kelm auch prompt die Speisekarte rüber:
«Nun mal ordentlich vollgefressen, die Kopekenmacher zahlen’s schon…» Mit Kopekenmacher war, wie Kochale inzwischen wußte, die Dienststelle für Keims Spesenabrechnung gemeint.
Angefangen hatte es Mitte Januar dieses Jahres mit einer Kleinanzeige in der Berliner Morgenpost: Student, alle Führerscheine, sucht Nebentätigkeit. Zuerst hatte sich Mallwitz gemeldet und ihm den Taxifahrerjob angeboten, dann dieser Kelm (oder wie immer er wirklich heißen mochte).
Zuerst ein Treff in Kochales Wohnung, und nach einigen Floskeln zum warming-up legt Kelm seinen grünen Verfassungsschützerausweis auf den Tisch und gibt sich als Staatsschutz-Bully zu erkennen.
«Unser Auftrag ist es, die ‹freiheitlich-demokratische Grundordnung› zu schützen. Dazu sammeln wir Erkenntnisse über kommunistische und andere extremistische Organisationen-Rechtsradikale, Linksradikale. Wenig Zeitaufwand bei vier- bis fünfhundert Mark pro Monat.»
«Das wär ja wunderbar. Aber wie sind Sie denn gerade auf mich gekommen?»
«Nun, da kommt immer so einiges zusammen, vor allem aber zählt für uns, daß Sie Motorradfahrer sind.»
Nach einer guten Stunde waren sie handelseinig geworden, und Kochale hatte sich noch in derselben Woche beim MFC Moabit angemeldet, einem seit 1969 existierenden Motorsport- und Freizeit-Club, von dem die Staatsschützer wußten, daß sich dort in letzter Zeit einige Jugendliche zusammengefunden hatten,
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