Feuer fuer den Grossen Drachen
aufzufressen. «Ihr Deutschen habt mein Leben kaputtgemacht!» Auf ihre Fragen reagierte Niyazi mit immer neuen Klagen – Anklagen. «Erst meine Eltern hergeholt, die Dreckarbeit machen, dann keine Schule für mich, keine Arbeit, nur Drohung mit Abschiebung – ich allein in der Heimat… Ihr seid schuld.»
Kunze war kurz vor dem nächsten Wutanfall. «Ich kann das nicht mehr hören! – Noch mal: Was hast du an dem Nachmittag bei Meyerhoff gemacht?»
Mannhardt massierte sich die Stirn. Je schneller er auf die Fünfzig zuging, je kostbarer die Jahre nun wurden, desto erboster war er, daß er tagtäglich all das tun mußte, wofür er bezahlt wurde. Verlorene Zeit. Der Schmerz um den entgangenen Nutzen all jener Stunden, die er – ergebnislos, folgenlos und unnütz – mit der Fülle seiner dienstlichen Verpflichtungen verbringen mußte, vergällte ihm die Tage. Seine Tochter hatte ihm gestern hohnlachend die Fotokopie eines Nicolas-Born-Gedichts zum Abendbrot serviert, die Berliner Para-Phrasen aus dem Tintenfisch 2 von 1969, mit unheimlich schönen Sätzen:
Wir haben es satt, uns von gewaschenen Schlägern schlagen zu lassen. Wir haben es satt, uns von kurzmähnigen Greifern greifen zu lassen. Wir haben es satt, den Kudamm von uniformiertem Mob blockieren zu lassen. Seht sie an, diese Typen…
«Wie findsten das…?»
«Wenn’s dir bei der Herausbildung deiner Persönlichkeit hilft, mich zu beschimpfen – bitte! Außerdem bin ich bei der Kripo und nicht uniformiert. Und wenn du mich fragst, was ich alles satt habe…»
«Sag’s doch!»
Da war er aufgestanden und hatte die Tür hinter sich zugeschmissen, in diesem Moment voll begreifend und ihr demonstrierend, daß die ganze bürgerliche Gesellschaft nur existieren konnte, wenn man zu dieser Frage schwieg und schweigend weiterarbeitete, ‹Frustrationstoleranz› an den Tag legte, wie ihnen ihr Psychologe das bei der letzten Fortbildungsveranstaltung verklickert hatte.
In den Augen des jungen Türken aber führte er ganz gewiß ein paradiesisches Leben, hatte all das, wovon das Kreuzberger Getto gerade zu träumen wagte: Gut bezahlte, krisensichere Arbeit, ein eigenes Haus, Kinder mit Zukunft.
Niyazi Turan, knappe zwanzig Jahre alt, aus einem kleinen Dorf. Ein unheimlich hübscher Kerl. Hätte Schauspieler werden sollen oder Schlagersänger, zumindest aber Kellner. Warum saß der hier im Knast und nicht bei den Parties seiner Tochter, wo auch immer zwei, drei Türken herumhockten und mit der Saz Volkslieder spielten?
Mannhardts Traum: Ich weiß, Niyazi, du hast weder Meyerhoff noch Theo umgebracht. Vergessen wir alles. Mein Vater hat hier ‘ne Fabrik in Berlin, und du kommst morgen dahin und fängst als Karosseriebauer an. Zweitausend monatlich fürs erste… Es war rührselig, sozialer Kitsch par excellence, er wußte es, aber so was überkam ihn hin und wieder und machte ihn so arbeitsunfähig wie ein epileptischer Anfall.
Seine Arbeit übernahm derweilen Kunze. Der drehte den Türken weiter durch die Mangel. Der Sachstand war klar: Fingerabdrücke von Niyazi waren sowohl bei Meyerhoff als auch in der Neuen Chance gefunden worden. Zwei Augenzeugen, Deutsche, hatten ihn nach seinem Ausbruch aus dem Tempelhof er Ausländerknast bei Meyerhoff gesehen, und zwar sich heftig mit dem Tabakwarenhändler streitend. Und was die Neue Chance betraf, so war dieser FU-Professor, den sie Q-Müller nannten und der die Veranstaltung vorzeitig verlassen hatte, ziemlich sicher, daß Niyazi draußen auf der Straße gestanden hatte.
«Aber ich habe Theo nicht erstochen!» beharrte Niyazi.
«Da waren ja noch sieben andere dabei, auch zwei Deutsche.»
«Namen?»
«Weiß ich nicht.»
«Du wirst dich schon noch erinnern, verlaß dich drauf. Hast du schon mal was von Notwehr gehört?» Kunze gab sich raffiniert.
Niyazi sah sich hilfesuchend um, Mannhardt war noch seine einzige Hoffnung. Sie wußten beide, was Kunze eben gemeint hatte, und sie wußten auch, daß Kunze alles haßte, was schwarzhaarig war und dunkeläugig, türkisch, persisch, arabisch…
Kunze ließ Niyazi keine Atempause. «Daß du – noch vor deiner ersten Festnahme – homosexuelle Beziehungen zu Meyerhoff unterhalten hast, als Stricher, das willst du wohl nicht mehr abstreiten?»
«Nein. Das war ja meine einzige Chance, an Geld ranzukommen.»
«Aber nachdem du aus’m Knast getürmt warst, da wollte er nicht mehr?»
«Nein.»
«Und warum nicht? Hast du da zu sehr gestunken?»
«Weil
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