Feuer fuer den Grossen Drachen
will.»
Q-Müller putzte sich die Brille. «Und wozu soll Wissenschaft dann gut sein?»
«Um bestimmten Leuten Geld und Prestige einzubringen.»
«Dir nicht?»
«Nicht soviel wie dir!»
«Ich tu ja auch mehr.»
«Sicher, du schreibst’ne Menge», sagte Herbert. «Während der Ku-Klux-Klan die Türkenhäuser in Brand steckt, während die Bullen Mehmet vor den Bus stoßen, während die Jungens im Knast vor die Hunde gehen – da sitzt du am Schreibtisch und schreibst. Kiloweise. Bloß schade, daß es außer dir keiner liest. Welcher Wissenschaftler liest denn heute noch das, was die anderen schreiben – hat er ja keine Zeit mehr zu, weil er selber schreiben muß. Wissenschaft als der Austausch nie gelesener Bücher… Macht doch euern Scheißdreck alleene!»
Herbert verließ das Sitzungszimmer und schmiß die Tür hinter sich zu.
Q-Müller wartete einen Augenblick. «Wenn jetzt alle Dampf abgelassen haben, können wir wohl weitermachen. TOP 3 also!» TOP – das war ein Tagesordnungspunkt.
Während die Diskussion weiterging, hatte Hanna Zeit genug, Tuğrul einen Brief zu schreiben, und zwar auf deutsch, aber – an Hand eines Lehrbuchs – in für Türken bestimmter Lautschrift:
Ih ha y ysi Hanna. Ih haab ı ka’ ynı ki ’ndir. Ih mö’btt gernfom i. 8. bis tsum 28. 8. in u’rlaup faann. Vîfîl ko’ stıt d î u’nt ı rkunft in Izmir vö’hmtlih? Vikan-ih mih ferpfle’ygm? Vîfîlko’sttt das e’sin? Ih benöötigi a’yni …
«Hanna, bitte!» Q-Müller hatte bemerkt, daß sie nicht bei der Sache war. «Vielleicht interessiert es dich, daß der Anstaltsleiter vorhin bei mir angerufen hat: Er will keine Interviews mit ausländischen Knackis mehr zulassen. Wir fahren nachher gleich mal hin.»
Nicht jetzt, und darüber erschrak sie, das kam erst später, als sie schon im Auto saßen und Q-Müller das Flugblatt aus der Tasche zog, das die West-Berliner nun in einem Maße unruhig werden ließ, wie sie es seit dem Chraschtschow-Ultimatum von 1958 nicht mehr gewesen waren:
K-Y
Kurtul uş-Yeter!
Befreiungskämpfer, jetzt reicht’s!
«Du weißt ja», sagte Q-Müller, während sie am Sachsendamm von der Stadtautobahn rollten, «daß ich den einen oder anderen von unseren Oberpolizisten ganz gut kenne… Sie sind sich ziemlich sicher, daß Tuğrul zu den Verfassern dieses Flugblattes gehört. Ob er zu den K-Y- Führern zu zählen ist, das wissen sie nicht, nehmen’s aber an. Ich wollt’s dir nur sagen, denn in den nächsten Tagen werden hier die ersten Bomben hochgehen.»
Es war, als hätte man ihr eine unmittelbar wirkende Droge in die Vene gejagt. Die Straße zerfiel in beziehungslos hingetupften Formen und Farben; Menschen und Wagen bewegten sich mit grotesker Zähigkeit, überzeitlupen-langsam. Eine mechanische Welt im Moment des Stromausfalls… Sie sagte schleppend, zeitlupenangepaßt:
«Immer sind wir Frauen nur die Wagen, an euch Lokomotiven gehängt, die männlichen Lokomotiven. Und entweder landen wir dann auf dem Abstellgleis, oder die Lok entgleist und wir stürzen mit ihr den Abgrund hinunter…» Jetzt schrie sie: «Ich hab’s satt bis obenhin! Romantik plus Orgasmus – herrlich! Aber der Preis dafür: Entweder lande ich auch im Knast, oder er liegt erschossen auf der Straße in ‘ner Blutlache… Und ich knie dann nieder, tränenüberströmt… Nee, du – nich mit mir! Ich hab gestern ‘n Brief von meinem Bruder gekriegt: Die wollen mich auszahlen, und in Wilhelmshaven kann ich ‘ne gutgehende Anwaltskanzlei übernehmen… Das mach ich auch! Endlich mal mein eigener Herr sein, selber ‘ne Lokomotive!»
Q-Müller streifte sie mit einem schnellen Blick. «Unheimlich bequem, sich immer abzukuppeln, wenn die Lok in Schwierigkeiten ist.»
«Du begreifst noch immer nichts!»
«Ich begreife nur, daß der Tuğrul Amok laufen wird, wenn du ihn jetzt so eiskalt abservierst. Wer verliert schon gerne ‘nen luxuriösen Wagen, ‘n Salonwagen. Wenn der dann bei den K-Y-Leuten der Boss wird und die Bomben hochgehen läßt, dann bist du mitschuldig dran – das mußte dir auch mal vor Augen halten… Andererseits, wenn er nun Erfolg hat, wenn er so ein klein wenig Geschichte machen sollte – was dann? Wenn ihr beide so ‘ne Art Modell werdet für das, was so alles möglich sein konnte…?»
«Ich will selber Lokomotive sein, mein Gott noch mal!»
«Ja, auf der Wilhelmshavener Kleinbahn, was?»
«Halt an, ich will aussteigen!»
«So schnell laß ich dich nicht
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