Feuer fuer den Grossen Drachen
verschiedenen Karteien blätterte und verschiedentlich telefonierte, hatten sie Zeit genug, diverse Verbotstafeln zu studieren:
Die Besucher haben das Sprechzentrum auf kürzestem Wege aufzusuchen. Die vorherige Kontaktaufnahme mit Gefangenen ist verboten. Zuwiderhandlungen haben sofortiges Hausverbot zur Folge.
Obwohl außer ihnen nur noch Türken und Araber hier warteten, zwanzig, fünfundzwanzig Leute etwa, waren die Verbotstexte lediglich in Deutsch gehalten. Hanna wußte, daß Anstalts- und Teilanstaltsleiter, AL und TAL, das Geld für die Übersetzungen sparen wollten («Wenn die bei uns sind, können die auch Deutsch lernen!»).
Endlich kam grünes Licht für sie; sie durften auf die nächsten Felder vorrücken: Entgegennahme der Besucherkarte, ein gelbes Stück Plastik von der Größe eines Stullenbretts. Dann: Anstellen zur Kontrolle.
Ein guter deutscher Beamter wittert jeden Linken, auch wenn der gar keiner ist. Zu erhöhtem Mißtrauen war insbesondere Anlaß gegeben, wenn die Leute sich, so wie Q-Müller heute, mit Schlips und Kragen zu tarnen suchten. So wurden sie denn auch («Bitte sehr, Herr Professor, bitte sehr, Frau Professorin…»), Flugplatzimitation, besonders liebevoll abgesondert und befühlt. Und erst Q-Müllers Wutausbruch konnte verhindern, daß man Hanna in eine Extrakabine und auf einen gynäkologischen Untersuchungsstuhl nötigte («Was meinen Sie, wieviel Rauschgift hier in eingeführten Präservativen eingeschmuggelt wird!»).
Ein Graubetuchter nahm sie in Empfang, ganz offensichtlich wenig froh über diesen Auftrag («Schnüffler!»), die mittelalterlich großen Schlüssel wie Revolverläufe gezückt. Zwei Gittertüren, hinaus auf den Hof. Stacheldraht wie Efeu an einer weißen Betonmauer. Eingangstür, B-Flügel, Sterntür, innere Verwahrbereichstür. Einige fünfzig Meter an den Zellen vorbei. Es war Aufschlußzeit, und die Gefangenen schlurften, schlichen, liefen umher, laut und aufgescheucht, bärtig, blaß und fahndungsfoto-düster. So absurd das sein mochte: Hanna fühlte sich an ihre früheren Börsenbesuche erinnert; dasselbe hysterisch-wirre Hin und Her, verquirlte Menschenleiber, für Außenstehende völlig außer Kontrolle geraten, ebenso pervertiertes Verhalten. Aber keine Maßanzüge hier, sondern schlotternde Jacken und Hosen, kein irisch-moosiges Rasierwasser, sondern ätzend-scharfer Schweißgeruch. Und eine Baisse des Menschseins.
«Na, wieder mal ‘n Zoobesuch?» Es war Ismail, der ihnen das zurief, Tugruls Bruder.
Andere Zurufe ließen auf das schließen, was man Samenkoller nannte, und Hanna hatte Angst, gegriffen und in eine der Zellen geschleppt zu werden. Ihre Gefühle den graubetuchten Schlüsselträgern gegenüber wurden um einiges freundlicher.
Endlich hatte man sie zum Verwaltungstrakt ‹durchgeschlossen›, und Hanna sah dem Anstaltsleiter an, wie sehr er ihnen dieses Spießrutenlaufen gönnte. Aber nicht einmal diese kleine Freude vermochte ihn milder zu stimmen.
«Ich habe», sagte er, nachdem er sie hereingebeten und in einiger Entfernung zwischen sich und seinen Teilanstaltsleitern placiert hatte, «ich habe Weisung gegeben, keine Interviews mit türkischen Häftlingen mehr zu gestatten. Meine Beamten wehren sich dagegen, daß externe Kräfte, die die Bedingungen hier nicht kennen, die Gefangenen noch rebellischer machen, als sie es ohnehin schon sind. Und was dann draußen in den Zeitungen steht, das sind Greuelmärchen. Die Realität, die wollen Sie doch gar nicht sehen, Herr Müller, Frau Jendreyko. Daß die Leute hier ein phantastisches Essen kriegen, während in ihren Heimatländern Millionen hungern. Daß sie hier ‘ne Menge Geld verdienen, während sie bei sich zu Hause betteln gehen müßten. Daß sie bei uns was lernen!»
«Gucken Sie sich doch mal unsere psychiatrischen Kliniken in Deutschland an», fügte der TAL I hinzu, «wie’s da aussieht! Da ist kein Geld für da, aber den ausländischen Knackis hier, den sollen wir Puderzucker in ‘n Arsch blasen, was!?»
«Als Dank dafür, daß sie unsere Jungen und Mädchen drogenabhängig machen und auf ‘n Strich schicken!» Das war der TAL II.
Q-Müller war zwar groß in Form heute und redete mit Engelszungen («Uns geht es doch nur darum, wie die Türken hier über ihre Familie draußen denken… Ich sichere Ihnen zu, daß Sie Ihre Meinung in unserem Bericht voll und ganz vertreten können…»), doch er biß zunehmend auf Granit und mußte schließlich einsehen, daß er so nicht
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