Feuer fuer den Grossen Drachen
Gewerbeschein.
Sie setzten sich, um einen Schluck rakı zu trinken, und Tuğrul erzählte, daß sie noch ins Künstlerhaus Bethanien sollten: Zülfü Livaneli mit neuen Saz- Kompositionen. Als Önal Bey diesen Namen hörte und den des Dichters Nazim Hikmet, wurde er zunehmend unruhiger, doch so richtig brach es erst aus ihm heraus, als ihm Tuğrul sagte, daß er mit Hanna im August nicht nur nach Izmir wolle, sondern auch nach Rhodos: zum Baden auf die griechischen Inseln.
«Wenn ein Türke diese Inseln betritt, unsere Inseln, dann nur mit einer Maschinenpistole in der Hand!»
Tuğrul fuhr auf. «Kann denn nicht mal endlich…»
Weiter kam er nicht: draußen im Treppenhaus explodierte ein Brandsatz.
Das Licht ging aus. Qualm. Schreie.
«I şik ! Ki britler!» Feuer, es brennt!
Sie kamen nicht mehr aus der Wohnung heraus; im Treppenhaus raste schon der Feuersturm.
Nach der ersten Panik war Hanna von einer absurden Heiterkeit erfüllt. So war das also… Das Sterben. Du hast es ja so gewollt. Mit Tuğrul. Die einzige Lösung, die es noch gibt…
AUS DEM TAGEBUCH DES
GROSSEN DRACHEN
Zumindest einmal in der Woche nutzte Mallwitz die späten Abendstunden zu Tagebuchnotizen. Dies aus vielerlei Gründen. Zunächst einmal, um seine Gedanken zu ordnen, die Handlungen und Ziele zu reflektieren und gegebenenfalls neuen Entwicklungen anzupassen, wie das immer wieder geschehen mußte, wenn sich Unvorhergesehenes ereignete – Kochales Erscheinen beispielsweise. Er führte aber auch Tagebuch, um sich am eigenen Intellekt zu erfreuen. Tag für Tag hatte er nach außen hin den tumben Fuhrunternehmer zu spielen, da war das bitter nötig für ihn: sich schriftlich zu artikulieren, sich als Quasi-Literat zu fühlen. Ich schreibe, also bin ich.
Letzter und eigentlicher Beweggrund aber war die Hoffnung, mit diesem Tagebuch, diesem großformatigen Ringordner noch aus seiner Jus-Studentenzeit, ein Stück deutscher Geschichte zu dokumentieren, späteren Historikern eine Fundgrube anzulegen. Über die letzten Tage gab es viel zu notieren:
… Mit dem Romanversuch über Georg Escherich nicht vorangekommen. Fasziniert mich aber immer noch. Muß im Herbst nach München fahren, um an Ort und Stelle Nachforschungen anzustellen: wie ist es 1921 konkret zur Auflösung der Orgesch (Organisation Escherich) gekommen? 1921 – Augenzeugen könnten u. U. noch am Leben sein. Der Freicorpsgedanke ist weiterzuverfolgen. Deutschland braucht eine kleine Gruppe entschlossener Männer, die die Reinigung der Volksgemeinschaft übernehmen, die das tun, woran die Staatsorgane sich selber hindern. (Gesunderhaltung des Körpers. Auspressen von Eiterbeulen, Operationen, notfalls auch Amputationen!) Ohne solche Truppe geht jedes Staatsgebilde kaputt, wird krank, erschlafft, stirbt ab. Insbesondere die Wohlstandsgesellschaft, der Wohlfahrtsstaat. Mit Milde und Verständnis läßt sich kein Krebs bekämpfen, das kranke Gewebe muß ausgebrannt und herausgeschnitten werden! Dazu sind wir da: die Todesschwadron des Ku-Klux-Klan. Haßt uns, verfolgt uns, das macht nichts. Damit müssen wir leben. Wir wissen, daß wir notwendig sind. Ohne uns fällt alles in Scherben. Wir machen die Dreckarbeit, müssen sie machen, damit die andern sich gut und edel vorkommen können. Darin liegt unsere Größe. Und eines fernen Tages (so fern mag er vielleicht gar nicht mehr sein), da wird uns unser ganzes Volk für unsere Arbeit danken, die ganze deutsche Nation.
Ich sehe ja, wie schnell wir vorankommen, und Kochale ist ein Glücksfall, den mir der Himmel beschert haben muß. Einen Mann seiner Qualitäten hätte ich mir nicht einmal zu erträumen gewagt: die geborene Führernatur. Das einzige, was an ihm überhaupt auszusetzen wäre, ist sein übergroßer Ehrgeiz. Damit könnte er einmal meine Führerrolle gefährden. Mal sehen, was der Grand Wizard dazu sagt, wenn ich im November in den Staaten drüben bin.
Ja, mit Kochale habe ich zunächst einmal das Große Los gezogen. Endlich ein kongenialer Partner. Welch organisatorische Fähigkeiten! Brennender Ehrgeiz. Neurotisches Verlangen, andere Menschen zu führen, mitzureißen, etwas zu bewegen. Sucht um jeden Preis Ersatz für die verlorengegangene Fabrik. Mit ihm – Hock an zweiter Stelle – könnte der MFC eine Massenorganisation werden. Wie ein riesiger Magnet werden wir diejenigen Jugendlichen anziehen, die sonst keinen Boden unter den Füßen haben: Arbeitslose und Vorbestrafte. Der MFC – deine
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