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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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und fand ihre Stimme wieder, um ihm zu sagen:
    »Verzeihe mir.« – – –
    Sie erniedrigte sich, sie schämte sich ihrer selbst. Seit diesem Tage war jede ihrer Handlungen ein stummes Flehen um Vergebung und Vergessen.
    Es schien dann, als keimte eine neue Gabe in ihr auf. Es war etwas Schwebendes in ihr, sie sprach mit leiser Stimme, sie bewegte sich mit leichten Schritten durch das Zimmer, sie kleidete sich in weiche Stoffe, sie verschleierte mit dem Schatten der Wimpern ihre schönen Augen, die nicht wagten, den Freund anzublicken. Die Furcht, ihm beschwerlich zu fallen, auf ihm zu lasten, ihn zu langweilen, verliehen ihrem Ahnungsvermögen Flügel. Ihre immer wache Sensibilität lauschte und spähte vor der unzugänglichen Pforte der Gedanken. Sie kam dahin, in gewissen Stunden unter ihrem eigenen Pulsschlag den Rhythmus jenes anderen Lebens pochen zu fühlen.
    Ihre Seele, erfüllt von dem Wunsche, eine neue Empfindung zu schaffen, die fähig wäre, die Leidenschaften des Naturtriebes zu besiegen, offenbarte durch wunderbare Zeichen auf ihrem Antlitz die Schwierigkeit dieser heimlichen Aufgabe. Niemals hatte ihre höchste Kunst so seltsamen Ausdruck gefunden, noch war je der tiefe Schatten ihrer Züge so dunkel und so bedeutungsvoll erschienen. Eines Tages, da er sie ansah, sprach ihr Freund zu ihr von der unendlichen Kraft, die sich in dem Schatten offenbart, den der Helm auf das Gesicht des Pensieroso wirft.
    »Michelangelo« – sagte er – »konzentrierte in einer kleinen Vertiefung seines Marmors die ganze Kraft menschlichen Nachdenkens.
    Wie der Fluß die Handfläche, die sich höhlt, anfüllt, so füllte das ewige Mysterium, von dem wir umgeben sind, das kleine Räumchen, das der Meißel des Titanen in dem Gestein der Berge offen gelassen hatte; und es verblieb darin und verdichtete sich dort im Laufe der Jahrhunderte. Ich kenne nur den beweglichen Schatten Ihres Gesichts, Fosca, der zuweilen an Intensität jenem gleicht und ihn zuweilen auch übertrifft.«
    Sie strebte dem Wecker zu, hungrig nach Poesie und Wissen. Für ihn war sie die Idealerscheinung der Zuhörenden und Verstehenden. In der Art, wie ihre starken und wildgeordneten Haare ihre reine Stirn umgaben, lag etwas von der Ungeduld der Flügel. Ein schönes Wort trieb ihr plötzlich die Tränen in die Augen, wie der Tropfen, der in ein volles Gefäß fällt und es überlaufen macht.
    Sie las ihm Seiten aus den Werken der größten Dichter vor. Und die erhabene Form des Werkes erschien bedeutungsvoller, nur durch die Stellung, in der sie es hielt, durch die Bewegung, mit der sie die Blätter umwandte, durch den frommen, weihevollen Ernst der Aufmerksamkeit, durch die Harmonie der Lippen, die die Schriftzeichen in klingende Noten umwandelten. Beim Lesen der Danteschen Gesänge war sie streng und edel, wie die Sibyllen, die auf dem Deckengewölbe der Sixtinischen Kapelle das Gewicht der heiligen Bücher mit der ganzen heroischen Kraft ihrer von dem Hauch der Weissagungen bewegten Körper stützen. Die Linien ihres Gebärdenspiels und selbst die kleinsten Falten ihrer Tunika erläuterten ebenso, wie die Modulationen ihrer Stimme, den göttlichen Text.
    Sobald die letzte Silbe verklungen war, sah sie ihren Freund sich ungestüm erheben, zittern wie im Fieber, vom Gott getrieben im Zimmer umherirren, nach Atem ringen in der Seelenqual, die der wirre Aufruhr seiner schöpferischen Kraft in ihm erregte. Bisweilen sah sie ihn mit strahlenden Augen zu ihr treten, verklärt von plötzlicher Glückseligkeit, erleuchtet von einer inneren Flamme, als ob unerwartet eine übermenschliche Hoffnung in ihm aufflammte oder eine unsterbliche Wahrheit sich ihm offenbart hätte. Mit einem Erschauern, das in ihrem Blut die Erinnerung an jede Liebkosung auslöschte, sah sie ihn zu sich kommen und seinen Kopf in ihren Schoß legen, erschöpft von der furchtbaren Erschütterung der Welt, die er in sich trug, von dem Stoß, der irgendeine verborgene Metamorphose begleitete. Sie litt und war freudig bewegt, nicht wissend, ob er Qualen duldete oder Freude empfand. Mitleid, Furcht und Ehrfurcht bewegten sie, da sie diesen wollüstigen Körper so tief unter der Genesis des Gedankens leiden sah. Sie schwieg. Sie wartete. Sie betete die unbekannten Gedanken in diesem auf ihren Schoß gebetteten Kopf an.
    Aber noch besser begriff sie den großen Schmerz, als er ihr eines Tages nach der Lektüre von dem Verbannten sprach.
    »Stellen Sie sich vor, Fosca, wenn Sie es können,

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