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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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ohne zu erschrecken, stellen Sie sich die Gewalt und die Glut dieser uferlosen Seele vor, wie sie sich den Elementarkräften vermählt, um seine Welten zu empfangen! Stellen Sie sich Alighieri vor, schon erfüllt von seiner Vision, auf den Straßen der Verbannung, ein unermüdlicher Waller, von seiner Leidenschaft und von seinem Elend von Land zu Land getrieben, von Zufluchtsstätte zu Zufluchtsstätte, über die Ebenen, über die Berge, längs der Flüsse, längs der Meere, Zu jeder Jahreszeit, von der Süße des Lenzes erstickt, durchschüttelt von der Härte des Winters, immer die verschlingenden Augen wachsam und gespannt geöffnet, mit banger Begierde der inneren Qual folgend, in der sich das Titanenwerk vorbereitete. Stellen Sie sich die Fülle dieser Seele vor in dem Kontrast der gemeinen Bedürfnisse und der flammenden Visionen, die ihm plötzlich an der Biegung eines Weges entgegentraten, über einem Wasserwehr, in einer Felsenhöhle, am Abhang eines Hügels, im Waldesdickicht, in einem von hellem Lerchensang widertönenden Wiesengrunde. Durch die Sinnesnerven stürzte das vielfältige und vielgestaltige Leben mit Allgewalt auf seinen Geist ein, die Überfülle der abstrakten Ideen in lebendige Bilder umwandelnd. Wohin immer sein schmerzender Schritt sich lenkte, entsprangen unerwartete Quellen der Poesie unter seinem Fuße. Die Stimmen, die Erscheinungen, die Wesenheiten der Elemente mischten sich in die geheime Arbeit und erhöhten den Wohlklang, die Umrisse, die Farben, die Bewegungen, die zahllosen Mysterien. Feuer, Luft, Wasser und Erde waren Mitarbeiter an dem heiligen Gedicht, sie durchdrangen die Quintessenz der Lehre, erwärmten sie, milderten sie, bewässerten sie, deckten sie mit Blättern und Blüten ... Öffnen Sie dieses christliche Buch und stellen Sie sich vor, daß beim Aufschlagen die Statue eines Griechengottes Ihnen gegenüberstände. Sehen Sie nicht aus dem einen wie dem andern die Wolke hervorbrechen oder das Licht, Blitze oder Himmelsstürme?«
    Sie begann jetzt zu fühlen, wie ihr eigenes Leben in das Werk überströmte, das alles aufsaugte, wie Tropfen um Tropfen ihre eigene Seele in die Gestalt des Dramas eindrang, und ihr Ausdruck, ihre Stellungen, ihre Gesten, ihre Stimme dazu beitrugen, die Heldin zu gestalten, »jenseits des Lebens lebend«. Sie war gleichsam eine Beute für diese gierigen Augen, die sich zuweilen mit unerträglicher Gewalt auf sie hefteten. So lernte sie eine neue Art kennen, von einem andern besessen zu werden. Es schien ihr, als löste sie sich in dem Feuer dieses Geistes in ihre Urelemente auf und als bildete sie sich dann zu neuer Vollkommenheit um, in dem Bedürfnis eines über das Schicksal siegenden Heroismus. Da ihre geheime Aufgabe im Einklang stand mit der Vollkommenheit des idealen Wesens, so wollte sie dem Bilde, dem sie gleichen sollte, entsprechen. Die Kunst unterstützte das Erscheinen des neuen, von ihr vorbereiteten Gefühls.
    Jedoch litt sie unter diesem Trugbild, das seinen Schatten über die Wirklichkeit des Verzichtes und des Schmerzes warf. Die Gleichheit des erdichteten und ihres wahren Wesens erzeugte ein seltsames, zwiespältiges Empfinden. Zuweilen schien es ihr, als bereitete ihre verborgene Arbeit das Gelingen eines Theaterspieles vor, statt den Sieg ihres Gewissens über den dunkeln Instinkt. Zuweilen glaubte sie ihr echtes Menschentum zu verlieren und sich wieder in dem Zustand künstlicher Erregung zu befinden, in den sie sich zu bringen pflegte, wenn sie den Charakter der tragischen Person studierte, die sie verkörpern sollte. So lernte sie eine neue Qual kennen. So verschloß sie sich dem Blick des Forschenden, als wollte sie ihn hindern, in sie einzudringen, sie dieses geheimen Lebens zu berauben. Sie fürchtete den Seher. ›Er wird in meiner Seele die stummen Worte lesen, die er seinem Geschöpf in den Mund legen wird, und ich werde sie nur auf der Bühne aussprechen können unter der Maske!‹ Sie fühlte, wie ihr freier Wille gelähmt wurde. Wirre Ratlosigkeit und Niedergeschlagenheit bemächtigten sich ihrer, aus der zuweilen ein gebieterisches Bedürfnis aufstieg, den Zauber zu brechen, sich umzuwandeln, sich von dem Bilde, das ihr gleichen sollte, loszulösen, diese Linien der Schönheit, die sie gefangen hielten und sie zu einem entscheidenden Opfer zwangen, zu durchbrechen.
    ›War nicht auch in der Tragödie eine liebedürstende und freudebegehrende Jungfrau, in der ein hoher Geist die lebengewordene Gestalt seines

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