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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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unwillkürliches und nie versiegendes Sehnen nach idealen Harmonien. Eine Art rhythmischer und dichterischer Intelligenz, scheint sie eifrig mit den Darstellungen beschäftigt, wie um sie einem Gedanken entsprechend zu gestalten und sie einem ersonnenen Ende nahe zu bringen. Sie scheint Wunderkraft in den Händen zu besitzen, um ihre Lichter und ihre Schatten zu einem beständigen Werk der Schönheit zu bilden, und sie scheint zu träumen, während sie ihr Werk schmückt, und aus diesem Traum – aus dem die vielfältige Erbschaft der Jahrhunderte in verklärtem Lichte leuchtet – spinnt sie das Gewebe der unnachahmlichen Allegorien, das sie einhüllt. Und da im Weltall nur die Poesie Wahrheit ist, so sieht der, der sie zu betrachten und kraft des Gedankens an sich zu fesseln versteht, davor, das Geheimnis des Sieges über das Leben zu erkennen.«
    Bei diesen letzten Worten hatte er die Augen Daniele Glauros gesucht, und er hatte sie in Glück aufleuchten sehen unter der großen Denkerstirn, die eine ungeborene Welt zu wölben schien. Der mystische Gelehrte war dort, ganz nahe, mit seiner Schar: mit einigen jener unbekannten Jünger, die er dem Meister begierig und bangend geschildert hatte, voller Vertrauen und Erwartung, sehnsüchtig, die engen Schranken ihrer täglichen Knechtschaft zu durchbrechen und den freiwilligen Rausch der Freude und des Schmerzes kennen zu lernen. Stelio sah sie dort zu einer dichten Gruppe vereint wie einen Knäuel komprimierter Kräfte gegen die rötlichen Schränke gelehnt, in denen die zahllosen Bände einer vergessenen und ruhenden Wissenschaft begraben waren. Er unterschied ihre erregten und gespannten Gesichter, die vollen langen Haare, die in gleichsam kindlichem Staunen oder in sensitiver Heftigkeit zusammengepreßten Münder, die hellen oder dunklen Augen, deren Licht oder Schatten der Atem seiner Worte zu verändern schien, wie der Windhauch, der über ein Beet voll zarter Blumen weht. Es war ihm, als habe er ihre Seelen zu einer einzigen verschmolzen, und als könne er diese eine in seiner Hand schwingen oder in seiner Faust zusammenpressen oder zerreißen oder verbrennen wie ein leichtes Banner. Während des kühnen Auf- und Abschnellens seines Geistes bewahrte er eine seltsame Klarheit der äußeren Wahrnehmung, gleichsam eine getrennte Fähigkeit äußerlicher Beobachtung, die desto schärfer und deutlicher hervortrat, je beflügelter und wärmer seine Beredsamkeit wurde. Er fühlte allmählich die Anstrengung seines Geistes müheloser werden und seine Willenskraft durch eine freie Energie verdrängt, die gleich einem dunklen Instinkt in der Tiefe seiner Seele unter der Schwelle des Bewußtseins sich in einem geheimnisvollen, unerweisbaren Vorgang betätigte. Er erinnerte sich, wie ganz ähnlich in ungewöhnlichen Augenblicken – im Schweigen und der geistigen Erregung seines entlegenen Zimmers – seine Hand einen Vers auf das Papier geworfen hatte, der nicht seinem Gehirn zu entstammen, sondern von einer herrischen Gottheit diktiert zu sein schien, der das unbewußte Organ wie ein blindes Werkzeug gehorcht hatte. Ein ähnliches Wunder vollzog sich jetzt in ihm, als sein Ohr überrascht dem unerwarteten Tonfall der Worte lauschte, die seine Lippen sprachen. In der Gemeinschaft seiner Seele mit der Seele der Menge vollzog sich ein fast göttliches Mysterium. Etwas Großes und Starkes gesellte sich seinem gewohnten Empfindungsvermögen zu. Es schien ihm, als gewänne seine Stimme von Augenblick zu Augenblick an Kraft und Gewalt.
    Er erschaute in diesem Augenblick die erträumte Erscheinung voll und lebendig in seinem Innern, und er schilderte sie in der Art der koloristischen Meister, die diesen Ort beherrschten, mit der Verschwendung des Paolo Veronese, mit der Glut des Tintoretto, in der Sprache der Poesie.
    »Und die Stunde nahte, ja fast war sie schon gekommen, die Stunde des erhabensten Festes. Ein ungewohntes Licht breitete sich vom äußersten Horizont über den Himmel, als eilte der wilde Bräutigam auf einem Feuerwagen daher, sein purpurnes Banner schwingend. Und der Wind, den sein eiliger Lauf erzeugte, trug alle Düfte der Erde herüber und weckte bei den Wartenden auf dem Wasser, in dem vereinzelte Seegräser und Schilfe umherschwammen, die Vorstellung von den dichten, weißen Rosensträuchern, die sich nach und nach auflösen, wie Schneemassen, die gegen die Geländer der Gärten an den Brenta-Ufern sich verlieren. Das Bild des ganzen Ortes schien sich mir in

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