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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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Gewalt, daher ergänzte so mühelos die Gebärde die Umrisse der Bilder, daher erhöhte die suggestive Macht des Tons bei jedem gesprochenen Wort die Bedeutung des Buchstabens. Es war hier nicht nur die übliche Wirkung einer zwischen dem Sprecher und dem Auditorium hergestellten elektrischen Verbindung, sondern auch der Zauber des wunderbaren Bauwerks, der durch die ungewohnte Berührung mit dieser zusammengedrängten und erregten Menschenmasse mit verstärkter Kraft wirkte. Die Erregung der Menge und die Stimme des Dichters schienen den vielhundertjährigen Mauern das ursprüngliche Leben wiederzugeben und in der kalten Kunstsammlung den ursprünglichen Geist zu erneuern: ein Knäuel mächtiger Gedanken, in den dauerhaftesten Materien zusammengefaßt und gegliedert, um den Adel eines Geschlechtes zu bezeugen.
    Der Glanz göttlicher Jugend ergoß sich über die Frauen, wie in einem prunkhaften Alkoven; denn sie hatten in sich die Bangigkeit der Erwartung und die Wollust der Hingabe empfunden, wie die schöne Stadt. Sie lächelten in süßer Mattigkeit, fast erschöpft von einer überstarken Empfindung, mit den entblößten Schultern aus den Edelsteingirlanden emportauchend. Die Smaragden von Andriana Duodo, die Rubinen der Giustiniana Memo, die Saphire der Lucretia Priuli, die Beryllen der Orsetta Contarini, die Türkisen der Zenobia Corner, alle diese ererbten Juwelen, deren Feuer noch einen andern Wert als den des Materials besaß, wie der Schmuck des großen Saales noch einen anderen Wert als den Kunstwert barg, schienen auf die weißen Gesichter der Patrizierinnen den Widerschein eines heiteren und lockeren Lebens aus vergangener Zeit zu werfen; sie erweckten gleichsam in ihnen durch geheimnisvolle Kräfte den in dem tiefsten Grunde ihres Seins schlummernden Geist der Wollust, der dem Geliebten den in Myrrhen, Moschus und Ambra gebadeten Leib dargeboten und die geschminkten Brüste zur Schau getragen hatte.
    Stelio sah diese weibliche Brust des ungeheuren vieläugigen Fabeltiers, auf der die Federfächer sich wollüstig auf und ab bewegten, und er fühlte, wie ein allzu heißer Rausch sich seines Gedankens bemächtigte, der ihn verwirrte und ihm fast lüsterne Worte einflößte, jene lebendigen, beinahe wesenhaften Worte, mit denen er die Frauen zu berühren verstand, wie mit liebkosenden und einschmeichelnden Fingern. Die von ihm erzeugte weitgehende Erregung, die nun auf ihn selbst mit vervielfältigter Kraft zurückstrahlte, erschütterte ihn so heftig, daß er das gewohnte Gleichgewicht verlor. Es schien ihm, als schwebe er über der Menge, ein hohler und klingender Körper, in dem die verschiedenen Resonanzen sich durch einen unbestimmten und dennoch unfehlbaren Willen erzeugten. In den Pausen wartete er angstvoll auf die plötzliche Kundgebung dieses Willens, während der innere Widerhall andauerte wie von einer Stimme, die nicht die seine war, und Gedanken ausgesprochen hatte, die für ihn völlig neu waren. Und dieser Himmel und dieses Wasser und dieser Stein und dieser Herbst, wie er sie geschildert, schienen nicht die geringste Zugehörigkeit zu seinen eigenen eben gehabten Empfindungen zu haben, sondern sie schienen einer Traumwelt anzugehören, in die er – während er sprach – wie in einer schnellen Aufeinanderfolge von Blitzen einen Blick getan.
    Er staunte über diese unbekannte Macht, die in ihm wirkend die Grenzen des Einzelwesens aufhob und der einzigen Stimme die Klangfülle eines Chores verlieh.
    Das also war der geheimnisvolle Lohn, den die Offenbarung der Schönheit dem täglichen Dasein der hungernden Menge geben konnte; das war der geheimnisvolle Wille, den der Dichter verleihen konnte, wenn er der fragenden Massenseele, die den Wert des Lebens erkennen und auch einmal sich aufschwingen wollte zum ewigen Gedanken, Antwort gab. – In dieser Stunde war er nur die Brücke, auf der die Schönheit den Menschen, die sich in einem durch Jahrhunderte menschlichen Ruhms geweihten Orte versammelt hatten, die göttliche Gabe des Vergessens brachte. Er tat nichts anderes, als die sichtbare Sprache, in der die alten Künstler das Streben und die Inbrunst des Geschlechts ausgedrückt hatten, in die Rhythmen des Wortes zu übersetzen. Und für eine Stunde mußten diese Menschen die Welt mit anderen Augen betrachten, sie mußten mit einer anderen Seele fühlen, denken und träumen.
    Das war die höchste Gabe der offenbarten Schönheit; es war der Sieg der befreienden Kunst über die

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