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Feuer (German Edition)

Feuer (German Edition)

Titel: Feuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele d'Annunzio
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dem die frommen Lippen der Schlafenden sich noch im Gebet zu bewegen scheinen. Durch die offenen Türen und Fenster dringt das schüchterne Morgenlicht und fällt auf das in die Ecke des Kissens geschriebene Wort. Infantia lautet das schlichte Wort, das das Haupt der Jungfrau wie mit Morgenfrische zu umgeben scheint: Infantia . Die schon dem heidnischen Fürsten verlobte und dem Martyrium geweihte Jungfrau schläft keusch, unschuldig und inbrünstig; ist sie nicht die Verkörperung der Kunst, wie sie die Vorläufer in der Reinheit ihrer naiven Auffassung erschauten? Infantia . Das Wort beschwört all die Vergessenen um dieses Kissen der Jungfrau: Lorenzo Veneziano und Simone von Cusighe und Cantarino und Jacobello und Meister Paolo und den Giambono und Semitecolo und Antonio und Andrea und Quirizio von Murano und die ganze arbeitsame Familie, für die die Farbe, die dann mit dem Feuer wetteifern sollte, in den Hochöfen der glühenden Insel vorbereitet wurde. Aber würden sie nicht selbst einen Schrei der Bewunderung ausgestoßen haben bei dem Anblick des Blutes, das der von dem Pfeil des schönen heidnischen Schützen durchbohrten Brust der Heiligen entströmte? So rotes Blut in einem Mägdlein, das sich von weißer Milch genährt! Das Blutbad gleicht fast einem Jubelfest: die Schützen tragen die auserlesensten Waffen, die reichsten Kleider, die gewähltesten Stellungen zur Schau. Und der Goldhaarige, der mit so kühner Anmut die Märtyrerin mit seinem Pfeil durchbohrt, scheint er nicht wahrlich der jugendliche Eros zu sein, vermummt und ohne Flügel?
    Dieser zierliche Mörder der Unschuldigen (oder vielleicht einer seiner Brüder) wird sich morgen, wenn er den Bogen niederlegt, dem Zauber der Musik hingeben, um einen Traum der süßesten Wollust zu träumen.
    Wohl ist es Giorgione, der ihm die neue Seele einstößt und sie mit unstillbarer Begierde entflammt. Die verführerische Musik ist nicht die Melodie, die noch gestern sich von Engelsharfen durch die gewölbten Bogen über die strahlenden Throne ergoß oder sich in dem Schweigen der heiteren Fernen aufloste in den Visionen des dritten Bellini. Sie steigt auch jetzt bei der Berührung frommer Hände aus der Tiefe des Klavichords auf, aber die Welt, die sie erweckt, ist eine Welt der Freuden und der Schmerzen, hinter denen sich die Sünde verbirgt.
    Wer mit verständnisvollen Augen das Konzert gesehen hat, kennt ein ungewöhnliches und unwiderrufliches Moment der venetianischen Seele. Durch eine Farbenharmonie – deren bedeutungsvolle Gewalt unbegrenzt ist, wie das Mysterium der Töne – erzählt der Künstler uns von dem ersten Aufruhr einer begehrlichen Seele, der das Leben plötzlich als ergiebige Erbschaft erscheint.
    Der Mönch, der am Klavichord sitzt, und sein älterer Gefährte haben keine Ähnlichkeit mit jenen, die auf dem Bilde des Vittorio Carpacci in St. Giorgio degli Schiavoni vor dem gezähmten Löwen des heiligen Hieronymus fliehen. Ihre Wesenheit ist stärker und vornehmer; die Atmosphäre, in der sie atmen, ist erhabener und reicher, günstig für das Ersprießen einer großen Freude oder einer großen Traurigkeit oder eines stolzen Traums. Welche Noten mögen die schönen und sensitiven Hände den Tasten, auf denen sie verweilen, entlocken? Verführerische Noten ohne Zweifel, wenn sie vermögen, in dem Musizierenden eine so gewaltige Veränderung hervorzubringen. Er ist bei der Mitte seines irdischen Daseins angelangt, losgelöst schon von der Jugend, schon im Begriff, abwärts sich zu neigen, und nun erst offenbart sich ihm das Leben, geschmückt mit allen Gütern, wie ein Wald, der purpurne Apfel in Fülle trägt, deren frischen Samt seine auf andere Werke gerichteten Hände niemals kennen lernten. Da seine Sinnlichkeit schlummert, so fallt er nicht unter die Herrschaft eines einzigen verführerischen Bildes, obwohl er ein unklares Sehnen empfindet, in dem das Bedauern das Verlangen besiegt, während sich auf dem Gewebe der Harmonien, die er sucht, die Vision seiner Vergangenheit - wie sie hätte sein können und nicht war - gleich einem phantastischen Wahngebilde zusammengefügt. Der Gefährte, schon auf der Schwelle des stillen Alters stehend, errät den inneren Sturm; und sanft und schwer berührt er mit der Gebärde des Friedenbringers die Schulter des Leidenschaftlichen. Aber auch hier findet sich, auftauchend aus dem warmen Schatten, wie die Verkörperung des Begehrens, der Jüngling mit dem Federhut und dem unbeschnittenen

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