Feuer (German Edition)
Haarwuchs: die feurige Blume der Jünglingszeit, die Giorgione unter dem Einfluß jenes wunderbaren hellenischen Mythus geschaffen zu haben scheint, aus dem die Idealgestalt des Hermaphroditen hervorging. Er ist hier gegenwärtig, aber fremd, abgesondert von den andern, wie der es ist, den nichts kümmert als sein eigenes Wohl. Die Musik erhöht seinen unaussprechlichen Traum und scheint seine Genußfähigkeit unendlich zu vervielfältigen. Er weiß, daß er Herr jenes Lebens ist, das die beiden anderen flieht, und die Harmonien, die der Spielende anschlägt, scheinen ihm nur das Präludium seines eigenen Festes zu sein. Sein Blick ist gespannt seitwärts gewandt, als wollte er etwas verführen, was ihn verführt. Sein geschlossener Mund ist wie ein Mund, der das Gewicht eines noch nicht gegebenen Kusses trägt. Seine Stirn ist so hoch, daß nicht der dichteste Kranz sie beschatten würde, aber wenn ich an seine versteckten Hände denke, stelle ich sie mir vor, wie sie die Blätter des Lorbeers zerpflücken, um seine Finger in ihrem Wohlgeruch zu baden.«
Die Hände des Weckers veranschaulichten die Gebärde des Brünstigen, als preßten sie in Wahrheit den Saft aus dem aromatischen Blatte; und die Stimme verlieh der heraufbeschworenen Gestalt ein so plastisches Leben, daß die jungen unter seinen Hörern vermeinten, ihr unaussprechliches Begehren verkörpert, ihren geheimsten Traum von ununterbrochener und endloser Lust offenbart zu sehen. Von einer inneren Verwirrung ergriffen, empfanden sie eine dunkle Erregung verhaltener Leidenschaften und sahen neue Möglichkeiten, hielten jetzt eine schon aufgegebene und ferne Beute für greifbar. Stelio erkannte sie, hier und dort, durch die ganze Lange des Saales, gegen die großen rötlichen Schränke gelehnt, in denen die zahllosen Bände einer Vergessenen und unfruchtbaren Wissenschaft begraben waren. Sie standen in den Gängen, die um den Saal liefen; wie ein lebendiger Saum schienen sie die kompakte Masse einzufassen, und wie bei einer im Winde wehenden Fahne die Enden am stärksten flattern, so erzitterten sie beim Hauche der Poesie.
Stelio erkannte sie; einige erkannte er an der Eigentümlichkeit der Haltung, an der übermäßigen Ergriffenheit, die sich in den gepreßten Lippen oder in dem Zucken der Augenlider oder in den erglühenden Wangen offenbarte. Auf den Gesichtern einiger, die den offenen Balkonen zugewandt waren, erriet er den Zauber der Herbstnacht und die Wonne der aus der algenbedeckten Lagune aufsteigenden Brise. Die Blicke anderer zeigten ihm durch einen Strahl der Liebe, der aus ihnen hervorbrach, eine Frau, hingegossen auf ihrem Platze sitzend, gleichsam entkräftet von einem geheimen Genuß, mit einem unbeschreiblichen Ausdruck unkeuscher Erschlaffung, mit einem weichen, schneeweißen Gesicht, in dem der Mund sich wie eine feuchte Honigzelle öffnete.
Eine seltsame Klarheit war über ihn gekommen, und die Dinge erschienen ihm mit ungewohnter Deutlichkeit, wie in einer fieberhaften Halluzination. Alles lebte in seinen Augen ein intensiveres Leben: die Bilder der Dogen, die um den dazwischen weißlich schimmernden Fries laufen, atmeten wie die kahlköpfigen Alten dort im Hintergrunde, die er dann und wann sich mit gleichmäßiger Bewegung den Schweiß von den blassen Stirnen trocknen sah. Nichts entging ihm; nicht das beharrliche Tropfen der schwebenden Wachsfackeln in die bronzenen Gefäße, die das Wachs wie Bernstein auffingen; nicht die wundervolle Feinheit einer beringten Hand, die das Taschentuch auf die schmerzenden Lippen preßte, wie um einen brennenden Schmerz zu lindern; nicht der leichte Schal, der um nackte Schultern gezogen wurde, die in Kälte erschauerten vor dem kühlen Nachtwind, der durch die offenen Balkone hereinströmte. Und während er die tausend Augenblicksbilder bemerkte, bewahrte er dennoch in seiner Vision die Vorstellung von dem unübersehbaren vieläugigen Fabeltier, von der mit leuchtenden Schuppen bedeckten Brust, aus dessen Flanke die tragische Muse auftauchte, deren Haupt sich abhob aus dem Kreis der Gestirne.
Immer wieder kehrte sein Blick zurück zu der verheißenen Frau, die sich ihm zeigte, gleichsam die lebendige Stütze einer Sternenwelt. Er war ihr dankbar, daß sie diese Art und Weise gewählt hatte, um ihm so in dem Augenblick der ersten Zusammengehörigkeit zu erscheinen. Er sah jetzt nicht mehr die Geliebte einer Nacht in ihr, den in langen Liebesgluten gereiften Körper, erfahren in allen Künsten der
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