Feuer (German Edition)
so offenem Wagemut die Kunst lehrte, vermittelst des Genusses zu höheren Lebensformen sich aufzuschwingen.
Stelio lächelte, als er die Seinen erkannte. Es waren deren viele: er lächelte, da er den Erfolg seiner Lehre sah, die schon bei mehr als einem Geist die Wolken der erschlaffenden Traurigkeit verjagt hatte und in mehr als einem die Feigheit unnützer Tränen getötet und mehr als einem für immer Verachtung der jammernden Klagen und des weichen Mitleids eingeflößt hatte.
Er war froh, noch einmal das Prinzip seiner Lehre ausgesprochen zu haben, die dieser Kunstseele, die er verherrlichte, auf natürliche Welse entquoll. Und die sich in eine Einöde zurückgezogen hatten, um ein trauriges Wahnbild anzubeten, das nur im Spiegel ihrer verschleierten Augen lebte; und jene, die sich zum König einer Königsburg ohne Fenster gemacht hatten, wo sie seit Menschengedenken einer Verkündigung harrten; und jene, die glaubten, unter Trümmern die Bildsäule der Schönheit ausgegraben zu haben, und es war nur eine verwitterte Sphinx, die sie mit ihren endlosen Rätseln quälte; und jene, die allabendlich in ihren Türen standen, um den geheimnisvollen Fremden mit dem gabengeschwellten Mantel kommen zu sehen, und in bleicher Erwartung das Ohr an die Erde legten, um den Schritt zu hören, der sich zu nähern und dann zu entschwinden schien: kurz alle, die ein in Ergebung getragenes Herzeleid unfruchtbar machte oder ein verzweifelter Stolz verzehrte, die ein nutzloser Eigensinn verhärtete, oder denen immer getäuschte Erwartung den Schlaf raubte, alle, alle hätte er rufen mögen, auf daß sie ihr Übel erkannten, in dem Glanze dieser alten und doch immer neuen Seele.
»Wahrlich« – sagte er mit jubelnder Stimme – »wenn das ganze Volk auswanderte, seine Häuser verließe, von fernen Gestaden gelockt, heute wieder, wie es schon in seiner heroischen Jugend verführt wurde von der Meerenge des Bosporus zur Zeit des Dogen Pietro Ziani, und kein Gebet mehr das tönende Gold der Mosaikhallen vibrieren ließe, und kein Ruder mehr mit rhythmischem Schlage die stille Andacht des stummen Steins fortsetzen würde, Venedig würde dennoch immer eine Stadt des Lebens bleiben. Die idealen Schöpfungen, die ihr Schweigen hütet, leben in der ganzen Vergangenheit und in der ganzen Zukunft. Wir entdecken in ihnen immer neue Übereinstimmungen mit dem ragenden Bau des Universums, unerwartetes Sichbegegnen mit dem gestern geborenen Gedanken, deutliche Verkündigungen für das, was in uns nur ein Vorgefühl ist, offene Antworten auf das, was wir noch nicht zu fragen wagen. Sie sind einfach und dennoch überreich an sinnbildlichen Bedeutungen; sie sind kindisch und dennoch in glänzende Tuniken gekleidet. Würden wir uns auf unbestimmte Zeit in ihren Anblick vertiefen, so würde sie nie aufhören, mit den verschiedenartigsten Wahrheiten unseren Geist zu erfüllen. Wenn wir sie jeden Tag besuchten, so würden sie uns jeden Tag ein anderes, unerwartetes Schauspiel bieten, wie die Meere, die Flüsse, die Wiesen, die Wälder, die Felsen. Zuweilen dringt, was sie uns sagen, nicht bis zu unserm Intellekt, aber sie offenbaren sich uns in einer Art unbewußter Glückseligkeit, in der unsere Wesenheit zu erzittern und sich in ihren innersten Tiefen zu weiten scheint. An einem hellen Morgen werden sie uns den Weg weisen, der zu dem entlegenen Wald führt, wo die Schöne, in ihr geheimnisvolles Haar gehüllt, seit undenklichen Zelten uns erwartet.
Woher kommt ihnen diese unbekannte Macht?
Von der keuschen Naivität der Künstler, die sie schufen.
Diese großen Männer kannten nicht die unermeßliche Gewalt der Dinge, die sie zum Ausdruck brachten. Mit Millionen von Wurzeln in das Leben eingegraben, nicht nur gleich Bäumen, sondern ausgedehnten Wäldern gleich, saugten sie unendliche Elemente in sich auf, um sie umzugießen und in Ideal-Arten zu verdichten, deren Besonderheiten ihnen unbekannt bleiben, wie der Saft des Apfels dem Zweig, der ihn trägt. Sie sind die geheimnisvollen Pfade, durch die das nieversiegende Sehnen der Natur nach Gebilden befriedigt wird, die fehlerlos zu prägen ihr nicht gelingt. Darum, dieweil sie das Werk der göttlichen Mutter fortsetzen, verwandelt sich ihr Geist in ein Ebenbild des göttlichen Geistes , wie Lionardo sagt. Und da die schöpferische Kraft ihren Fingern zufließt, unaufhörlich, wie der Saft in den Knospen der Bäume, so schaffen sie in Freude.«
Die ganze glühende Sehnsucht des Künstlers nach
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