Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns
finden würden, und war begierig darauf, endlich meinen Reporterinstinkten wieder nachzugeben und mich dahinterzuklemmen, um Hintergrundinformationen zu beschaffen.
»Super. Kannst du es bis Freitag schreiben?«
Heute war Dienstag. Freitag schien schon so nahe, aber ich war entschlossen, es zu schaffen. Es war spannend, wenn auch etwas beunruhigend und verwirrend, daran zu denken, diese irritierenden Monate mit der ganzen Welt zu teilen. Die meisten meiner Kollegen wussten noch nicht darüber Bescheid, was mir während meiner langen Abwesenheit – in gewissem Sinne war ich wirklich abwesend gewesen – passiert war und ich hatte Bedenken, dass diese Geschichte vielleicht alles wieder zerstören könnte, was ich in den letzten Wochen, in denen ich wieder zur Arbeit kam, erreicht hatte. Aber es war unwiderstehlich: Nun hatte ich die Gelegenheit, über diese verlorene Zeit zu berichten und mir selbst zu beweisen, dass ich verstand, was in meinem Körper geschehen war.
Kapitel 47
Der Exorzist
M it diesen widersprüchlichen Gefühlen in meinem Kopf besann ich mich auf meine Reporterfähigkeiten und interviewte meine Familie, Stephen, Herrn Dr. Dalmau und Herrn Dr. Najjar, um ein Bild von meiner Krankheit und deren weitreichenden Auswirkungen zu bekommen.
Worauf ich nahezu sofort gestoßen wurde, ist vielleicht das größte Rätsel: Wie viele Menschen im Laufe der Geschichte litten an meiner oder anderen Krankheiten, wurden jedoch nicht behandelt? Diese Frage wird noch drängender durch das Wissen, dass obwohl die Krankheit erst 2007 entdeckt wurde, einige Ärzte, mit denen ich sprach, glauben, dass es sie so lange gibt, wie es die Menschheit gibt.
Ende der 1980er-Jahre stellte der französisch-kanadische Kinderneurologe Dr. Guillaume Sébire ein ungewöhnliches Symptommuster bei sechs Kindern fest, die er von 1982 bis 1990 behandelt hatte. Sie litten alle an Bewegungsstörungen einschließlich unwillkürlicher Tics oder außergewöhnlicher Unruhe, kognitiven Beeinträchtigungen, Anfällen, normalen CT-Befunden und negativen Testergebnissen bei den Blutwerten. Bei den Kindern wurde eine »Enzephalitis unklaren Ursprungs« festgestellt – umgangssprachlich als Sébire-Syndrom bekannt –, eine Erkrankung, die durchschnittlich zehn Monate dauerte. Vier der sechs Kinder erholten sich vollständig. Seine vage Beschreibung dieser Erkrankung hatte zwei Jahrzehnte lang Gültigkeit.
Eine frühere Arbeit, die Robert Delong und seine Kollegen 1981 verfasst hatten, beschrieb das »erworbene reversible autistische Syndrom« bei Kindern. Diese Erkrankung äußerte sich wie Autismus, zwei von drei untersuchten Kindern jedoch (ein fünfjähriges Mädchen und ein siebenjähriger Junge) erholten sich vollständig, während ein elfjähriges Mädchen schwere Gedächtnis- und Wahrnehmungsdefizite behielt. Sie war unfähig, sich nach nur wenigen Minuten an drei Worte zu erinnern, die man ihr gesagt hatte. Heutige Studien zeigen, dass rund 40 Prozent der Patienten mit dieser Erkrankung Kinder sind (dieser Prozentsatz nimmt zu), doch bei Kindern äußert sich die Krankheit anders als bei Erwachsenen: Betroffene Kinder zeigen Verhaltensweisen wie Wutanfälle, Stummheit, ein gesteigertes sexuelles Verlangen [Hypersexualität] und Gewalt. Eine Mutter beschrieb, wie ihr Kind versuchte, das jüngere Geschwisterchen zu erdrosseln; eine andere hörte leise Grunzgeräusche von ihrer normalerweise engelsgleichen Tochter und wieder ein anderes Kind zerkratzte sich die Augen, um seine innere Aufruhr mitzuteilen, die es mit seinem Kleinkindervokabular nicht äußerm konnte. Bei Kindern wurde die Erkrankung häufig als Autismus fehldiagnostiziert; abhängig davon, wann und wo das betroffene Kind lebte, konnte es jedoch auch als übernatürlich oder als böse beschrieben werden.
Böse. Dem ungeübten Auge mag die Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis sicher als heimtückisch erscheinen. Betroffene Söhne und Töchter erscheinen plötzlich wie besessen, dämonisch, wie Kreaturen aus unseren schlimmsten Albträumen. Man stelle sich ein junges Mädchen vor, das nach mehreren Tagen mit generalisierten Anfällen, bei denen sie in die Luft sprang und aus ihrem Bett fiel – und nachdem sie in einer seltsamen, tiefen Baritonstimme sprach – ihren Körper verdrehte und auf allen vieren die Treppe hinunterkroch, zischend wie eine Schlange und Blut spuckend.
Diese erschreckende Szene stammt aus der unveröffentlichten Version des Blockbuster-Films Der Exorzist,
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