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Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns

Titel: Feuer im Kopf - meine Zeit des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susannah Calahan
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ihren Lieben habe diese Krankheit, und die Informationen darüber wünschten, wie sie am besten zu behandeln sei. Wie jedes andere schwere Trauma greift einen diese Krankheit, stark an und wenn man so gut überlebt hat, ist man schließlich darauf vorbereitet, etwas zurückzugeben und will jedem helfen, der vielleicht durch ähnliche Turbulenzen geht. Dadurch, dass man exponiert ist wie eine offene Wunde, ist man jedoch den Elementen schutzlos ausgeliefert.
    Viele Geschichten, die ich damals hörte, waren ähnlich wie meine oder noch quälender. Nachts ließen mich die Worte einiger Leute, mit denen ich gesprochen hatte, nicht schlafen: Warum ich? Warum haben meine Antikörper beschlossen, mich anzugreifen? Warum konnte ich wieder gesund werden?
    Ich lebe mit diesem endlosen Refrain – nicht aus Selbstmitleid, sondern wegen der ernsthaften Frage, warum mein Körper beschloss, sich gegen sich selbst zu wenden. Und dann wieder die Frage: Warum passiert das überhaupt jemandem? Es gibt inzwischen Tausende Fälle von Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis und viele sind nicht gut ausgegangen: Eine ältere Frau, die gestorben ist wegen der Fehldiagnose einer Harnwegsinfektion; eine Frau, die schwanger war, und als ihre Symptome fortschritten, ihr Baby verlor; mehrere Mädchen, denen die Eierstöcke entfernt wurden, als die Ärzte kein Teratom entdecken konnten und bei denen die Immunsuppressiva nicht halfen, die bei mir Wunder gewirkt hatten.
    Praktisch jede, mit der ich gesprochen habe, hatte Wahnvorstellungen und Halluzinationen gehabt: Eine Musiklehrerin sah und hörte eine komplette Sinfonie vor ihrem Fenster; eine junge Frau rief nach einem Priester und verlangte einen Exorzismus, weil sie sicher war, vom Teufel besessen zu sein; eine andere Frau meines Alters hasste sich während der Genesungsphase so sehr, dass sie sich die Haare ausriss und die Arme ritzte. Paranoide Gedanken, vor allem über die Männer in ihrem Leben, waren ebenfalls ein häufiges Thema. Eine Frau mittleren Alters glaubte, ihr Mann habe mit einer Nachbarin ein Kind gezeugt; ein Teenager war überzeugt, der Vater würde ihre Mutter betrügen. Eine Zwölfjährige, mit der ich sprach, hatte versucht, aus einem fahrenden Auto zu springen; eine andere Frau hatte eine Traubensucht – wie meine Fixierung auf Äpfel.
    Alle Frauen, mit denen ich sprach, hatten sich selbst verloren. Und nicht jede fand sich wieder. Einige würden nie wieder so aufgeweckt oder lustig oder lebhaft sein wie vor der Krankheit.
    Es kamen auch Anrufe von Menschen, bei denen Schizophrenie diagnostiziert worden war und die daran zweifelten, je eine andere Antwort zu bekommen. Meine Geschichte gab ihnen neue Hoffnung, aber einige ängstigten mich auch mit ihren ständigen paranoiden Anrufen.
    »Wissen Sie, die hören uns ab«, sagte eine ältere Frau.
    »Wie bitte?«
    »Sie hören mein Telefon ab, deshalb kann ich nicht viel sagen.«
    »Ich höre Stimmen«, sagte eine andere Frau. »Da draußen sind Leute, die mich schnappen wollen. So wie Sie.«
    Eine manisch klingende Frau, deren gepresste Redeweise schwer zu verstehen war, rief mehrmals täglich an und versuchte, ein Treffen mit mir zu vereinbaren, damit ich ihr eine Diagnose stellen könnte.
    »Ich bin keine Ärztin, aber Sie sollten einen Fachmann konsultieren«, sagte ich und gab solchen Anrufern eine Liste von Ärzten durch, die mich behandelt hatten. Die Wahrheit war jedoch, dass der einzige Unterschied zwischen denen, die an Schizophrenie litten, und mir der war, dass ich geheilt worden war. Ich wusste ebenso gut wie diese Leute, wie es war, im Prisma der eigenen zerbrochenen Psyche gefangen zu sein.
    Die Schuld der Überlebenden als eine Form der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist verbreitet – eine Studie gibt an, dass 20 bis 30 Prozent der Überlebenden sie entwickeln – und sie wurde bei Patienten mit Krebs und Aids ebenso dokumentiert wie bei Kriegsveteranen. Ich kann aus erster Hand von diesem Gefühl erzählen, auch wenn mein Problem in gewisser Weise das Gegenteil einer PTBS ist: Während die meisten, die unter einer PTBS leiden, verzweifelt versuchen, den Erinnerungen an das ursprüngliche Trauma zu entfliehen, habe ich keine Erinnerungen.
    Aber die Schuld bleibt trotzdem, vor allem, wenn ich mit Familien spreche, die nicht anders können, als missgünstig zu sein. So rief mich beispielsweise ein frisch Verheirateter wegen seiner Frau an; er hatte mich über Facebook kontaktiert und ich hatte ihm meine

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